Berlin. Ab Herbst können Gashändler ihre Mehrkosten für die Gasbeschaffung umlegen. Für Verbraucher heißt das: Sie müssen noch mehr bezahlen.

Für Gaskunden wird es ab Herbst noch teurer werden: Ab dem 1. Oktober sollen Gashändler ihre Mehrkosten auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umlegen dürfen, hieß es am Donnerstag aus Kreisen des Bundeswirtschaftsministerium. Bereits in der vergangenen Woche hatte BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD) im Zuge der staatlichen Rettung des Energiekonzerns Unipers die Umlage angekündigt. Nun konkretisieren sich die Pläne. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie teuer wird es für Gaskunden ab Herbst?

Kanzler Scholz hatte von 2 Cent pro Kilowattstunde als Umlage gesprochen und die Mehrkosten für eine vierköpfige Familie je nach Wohnraumgröße auf 200 bis 300 Euro beziffert. Allerdings sind die 2 Cent pro Kilowattstunde keine gesetzte Größe. Es könnte auch günstiger werden – oder deutlich teurer. Die genaue Belastung hängt im wesentlichen davon ab, wie teuer Gas im Herbst sein wird.

Nachdem Gazprom jüngst seine Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 erneut gedrosselt hat, ist der Gaspreis kräftig gestiegen. Am Donnerstag kostete die Megawattstunde am europäischen Spotmarkt, wo sich Unternehmen kurzfristig mit Gas eindecken können, mehr als 205 Euro. Noch vor einer Woche lag der Preis unter 155 Euro pro Megawattstunde. Wie sich die Preise bis Herbst entwickeln, ist völlig unklar.

Selbst bei einer Umlage von 2 Cent pro Kilowattstunde würden laut des Vergleichsportals Verivox bei einem Gasverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Mehrkosten in Höhe von 476 Euro auf Verbraucher zukommen. Im Durchschnitt würde ein Musterhaushalt dann 3675 Euro pro Jahr für seine Gasrechnung zahlen – dreimal so viel wie noch vor einem Jahr.

Sollte der Gaspreis aber weiter hoch bleiben oder gar noch steigen, wäre es möglich, dass die 2 Cent pro Kilowattstunde nicht ausreichen könnten. Denkbar wäre dann, dass die Umlage im Extremfall mehr als doppelt so hoch ausfallen könnte – das wären für den Musterhaushalt dann Mehrkosten von fast 1000 Euro im Jahr. Die genaue Höhe der Umlage soll der Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe (THE) im August auf seiner Webseite veröffentlichen.

Wie funktioniert das Umlageverfahren konkret?

Ursprünglich haben die Gashändler mit ihren Kunden, beispielsweise den Stadtwerken, einen Preis kalkuliert, der auf den eigenen Verträgen mit russischen Lieferanten wie Gazprom basierte. Solche Verträge werden häufig über längere Laufzeiten geschlossen und sind aufgrund der hohen Abnahmemengen verhältnismäßig günstig.

Kommt nun kein Gas mehr aus Russland, müssen die Energiekonzerne kurzfristig anderweitig Gas beschaffen, um etwa die Stadtwerke weiter beliefern zu können. Dafür können sie sich an Kurzfristmärkten, den sogenannten Spotmärkten, eindecken. Gehandelt wird dabei der Preis für den kommenden Tag. Aufgrund der Kurzfristigkeit sind die Preise am Spotmarkt sehr viel höher.

Die Energieversorger haben also einen ursprünglich vereinbarten Abnahmepreis und einen neuen, tatsächlichen Einkaufspreis. Die sich daraus ergebenden Mehrkosten müssen sie sich von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer testieren lassen und beim THE einreichen. 90 Prozent der höheren Beschaffungskosten sollen sie dann über die Umlage weitergeben können.

Wann kommt die Erhöhung bei den Kunden an?

Das Umlageverfahren soll am 1. Oktober beginnen und bis Ende März 2024 laufen – so lange reichen bisweilen die Langzeitverträge der Energieversorger. Die erste Abrechnung bei Verbrauchern – sowohl Privathaushalten als auch Firmen – dürfte dann Ende des Jahres, etwa im November oder Dezember eingehen. Ähnlich wie bei der jüngst weggefallenen EEG-Umlage wird die Umlage voraussichtlich auf den Rechnungen separat ausgewiesen werden, möglich wären erhöhte Netzentgelte. Details hierzu sind aber noch unklar.

Die deutschen Stadtwerke fordern nun schnell Klarheit, um ihre Kunden rechtssicher informieren zu können. „Andernfalls müssen Stadtwerke vorübergehend für ihre Kunden die Umlage bezahlen, was die wenigsten auch nur kurze Zeit durchhalten können“, sagte eine Sprecherin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) unserer Redaktion.

Eine Vorbereitungszeit von acht bis zehn Wochen sei notwendig oder eine Veröffentlichung im Internet, die kurzfristig gegenüber den Endkunden wirksam werden würde. Andernfalls würden Energieversorgern und Stadtwerken die Gefahr „explodierender Ausfall- und Wiederbeschaffungskosten“ drohen.

Warum müssen Kunden jetzt die Konzerne stützen?

Die Bundesregierung fürchtet einen Kaskadeneffekt: Gehen die Energieversorger pleite, könnten sie die Stadtwerke mitreißen. Die Sorgen vor einem Kollaps auf dem Energiemarkt sind groß. Zwar hat Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas bereits deutlich reduziert – noch immer kommen aber 35 Prozent des Gases aus Russland.

Die höchsten Mengen russischen Gases bezieht der Gashändler Uniper, bei dem der Staat mit 30 Prozent eingestiegen ist, um ihn zu aufzufangen. Bis Oktober müssen die Firmen ihre Mehrkosten vollständig selbst tragen.

Zahlen auch Kunden von Firmen die Umlage, die kein Gas aus Russland importieren?

Ja, die Umlage wird von allen Gaskunden getragen. Die Bundesregierung hatte zwei Möglichkeiten abgewogen: Entweder hätten nur die Kunden einen dann deutlichen Aufpreis gezahlt, deren Versorger tatsächlich russisches Gas beziehen. Viele Endverbraucher wissen aber gar nicht, bei welchem Versorger ihr Stadtwerk oder ihr Gasanbieter das Gas einkauft. Während der eine Verbraucher horrende Mehrkosten gehabt hätte, wären beim anderen keine Auswirkungen zu spüren gewesen.

Die Bundesregierung sah für diesen Mechanismus die soziale Akzeptanz nicht gegeben und entschied sich stattdessen für die allgemeine Umlage. Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, begrüßte die Entscheidung. „Der Gasmarkt ist aus den Fugen geraten und das darf nicht dazu führen, dass dies rein zufällig auf wenige Kunden abgewälzt wird“, sagte Fahimi unserer Redaktion.

Wie sollen Verbraucher die Mehrkosten schultern?

Kanzler Scholz hat bereits weitere Entlastungen angekündigt, unter anderem eine Wohngeldreform zu Beginn des kommenden Jahres. Dafür allerdings muss er die Bundesländer mit an Bord holen, denn die Kosten für das Wohngeld teilen sich Bund und Länder. Ob die Reform wirklich zu Beginn des kommenden Jahres steht, ist fraglich.

DGB-Chefin Fahimi fordert derweil eine Deckelung der Energiepreise für Privathaushalte. Der Verband kommunaler Unternehmen sprach sich für steuerfinanzierte Zuschüsse aus.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.