Berlin. . Viele Staaten könnten das Interesse haben, die Ostsee-Pipeline Nord Stream zu sabotieren. Für Russland spricht die Eskalationsdominanz.

Aus mittlerweile vier Lecks der Pipelines Nord Stream 1 und 2 blubbert Erdgas aus der Ostsee. Kaum jemand führt sie auf einen Unfall zurück oder zweifelt daran, dass sie das Ergebnis von Sprengungen sind. Die Untersuchungen dürften noch Wochen andauern.

Eine Frage drängt sich auf: Wer profitiert? In russischen Medien werden die USA verdächtigt. Aus Daten von Flightradar gehe hervor, dass ein US-Kampfhubschrauber vom 25. auf den 26. September stundenlang über der Ostsee gekreist sei. Militärisch wären die Amerikaner zu einem Anschlag fähig.

Die US-Amerikaner hatten das Operationsgebiet im Fokus: Laut "Spiegel" warnten sie schon im Sommer vor einem Anschlag. Sie hätten auch ein Motiv, nämlich Kremlchef Wladimir Putin im Ukraine-Krieg zu schaden; und sie wären als Lieferanten von Flüssiggas zugleich Nutznießer, wenn russisches Erdgas endgültig nicht über diese Pipelines bezogen werden kann. "Wir haben derzeit mehr Fragen als Antworten", wehrt Außenamtssprecher Ned Price allerdings ab.

Paradox und eher unbekannt ist, dass der staatsnahe russische Konzern Gazprom auch nach sieben Monate Krieg Gas durch die Ukraine transportiert. Sie ist auch Transitland für russisches Erdöl. Wenn Kiew mögliche Saboteure geschickt hätte, würde man dort einerseits viel riskieren, Rohstoffe wie Transitgebühren. Anderseits gilt die gleiche Logik wie bei den USA: Die Ukraine würde ihrem Kriegsgegner einen empfindlichen Schlag versetzen.

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Auch würde sie Staaten wie Deutschland dann jeden Grund nehmen, aus Angst vor einem kalten Winter ihre Sanktionen gegen Russland zu lockern. Schließlich ist da noch das moralische Argument: Die Ukraine ist das Opfer im Krieg. Wer würde es Präsident Wolodymyr Selenskyj verdenken, wenn er Russland schadet, wo er nur kann?

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Sabotage: Experten verdächtigen Russland

Viele Experten verdächtigen Russland. Es hat erst mal nichts zu verlieren, weil es die Lieferungen durch Nord Stream 1 gekappt hat und Nord Stream 2 im Zuge der Sanktionen nicht einmal den Betrieb aufnehmen konnte. Politisch wie ökonomisch sind beide Röhren abgeschrieben.

Nach dem Krieg könnten die europäischen Kunden allerdings womöglich das Unternehmen Gazprom verklagen und Schadensersatz verlangen. Nach dem Anschlag kann das Unternehmen solche Ansprüche leichter ablehnen, solange der Urheber der Attacke nicht feststeht; und zwar mit Verweis auf "höhere Gewalt".

Russland hätte auf jeden Fall das niedrigste Risiko, entdeckt und überführt zu werden, wiewohl die Ostsee zu den am besten überwachten Seegebieten überhaupt gehört und auch nicht allzu tief ist. 52 Meter sind es im Durchschnitt. Denn: Wer die Pipeline kontrolliert, ist in der Lage, die Röhre von innen heraus zu zerstören.

Dazu müsste Russland nur den ferngesteuerten Reinigungsroboter instrumentalisieren, den "Molch". Es wäre die einfachste Methode, aber nicht die klügste. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Experten zweifelsfrei untersucht haben, ob die Röhren von ihnen oder von außen zerstört worden sind.

Hingegen kann man bei einer Explosion von außen leichter von sich ablenken. U-Boote, Mini-U-Boote und Taucher hätte jeder Ostsee-Anrainerstaat einsetzen können. Die Ukraine hält es für möglich, dass schon mit dem Bau der Pipeline Sprengstoff angebracht worden ist, quasi für alle Fälle.

Nord Stream: Ist der Anschlag eine "Show of Force"?

Seit Jahren wird Russland verdächtigt, Spionage-Technologie in seinen Pipelines einzusetzen, in Turkstream wie bei Nord Stream. Trifft das zu, wäre es unmöglich, Nord Stream anzugreifen, ohne von den Russen mit Sensoren oder Sonarbojen bemerkt zu werden. Noch interessanter ist der Umkehrschluss: Ihre Spezialkräfte könnten hingegen relativ unbehelligt auf den Plan treten.

Professor Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, verweist im Gespräch mit dieser Redaktion darauf, dass die Russen "schon seit einigen Jahren Techniken der Unterwasserkriegsführung proben, bei denen U-Boote Taucher absetzen, die Seekabel oder Pipelines durch Sprengung zerstören".

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Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, es sei "dumm und absurd" Russland hinter den Lecks zu vermuten. Sie seien für Moskau "ziemlich problematisch". In der Tat: Was hätte Russland von einem Anschlag?

Die ganze Operation soll den Zweck haben, den westlichen Staaten zu demonstrieren, dass Russland auch andere Pipelines zerstören kann, zum Beispiel die gerade eingeweihte Röhre zwischen Norwegen und Polen, meint Krause. "Das hätte dann hierzulande möglicherweise katastrophale Folgen bei der Gasversorgung."

Andere Objekte könnten nach seiner Einschätzung Datenkabel sein, "die auch durch die Ostsee laufen, aber auch Pipelines könnten betroffen sein, die durch die Nordsee laufen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Wenn die Aktion eine so genannte Show of Force sein sollte, dann wäre es ein starkes Signal und eine Machtdemonstration, die ihre Wirkung nicht verfehlt hätte. Unruhe lösten die Pipeline-Lecks nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen und Norwegen aus. Würde etwa die gerade eingeweihte Pipeline zwischen Norwegen und Polen zerstört, hätte das womöglich auch hierzulande "möglicherweise katastrophale Folgen bei der Gasversorgung", so Krause. Ganz zu schweigen von den Umweltschäden.

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Litauen will umgehend den Schutz seines Flüssiggas-Terminals im Ostsee-Hafen von Klaipeda verstärken. Die ganze Aktion hat Angst ausgelöst. Sie könnte aber ein Weckruf sein, das Thema Sicherheit unter See ernster zu nehmen. "Man kann durch Sonarbojen schon sehr viel Sicherheit herstellen, sofern man Kräfte hat, die dann auch sofort eingreifen können", so Krause. "Man könnte auch überlegen, geschützte Seegebiete einzurichten, in denen keine fremden U-Boote patrouillieren und auch keine fremden Kriegsschiffe sich aufhalten dürfen."

Die Verunsicherung ist groß. Der Nato-Rat sah sich gezwungen, eine Drohung auszusprechen. Die Allianz würde mit einer "gemeinsamen und entschlossenen Reaktion" auf jeden "vorsätzlichen Angriff auf die kritische Infrastruktur der Bündnispartner". Wenn Russland hinten den Anschlägen steckte, hätte es wie bei der Debatte um den Einsatz taktischer Atomwaffen, laut Putin "kein Bluff", die Eskalationsdominanz – die Fähigkeit, Zeit und Grad der militärischen Verschärfung eines Konflikts zu bestimmen.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de