Berlin. Wie viele Polizisten verhalten sich rassistisch? Die Grünen, die Linkspartei, die FDP und mehrere SPD-Innenminister wollen dazu eine Studie. Die Gewerkschaft der Polizei findet, das greift zu kurz. Sie will, dass auch Belastungen im Polizeialltag untersucht werden.

In der seit Wochen andauernden Debatte über eine mögliche Studie zu Rassismus in der Polizei, hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) jetzt einen eigenen Vorschlag gemacht.

Sie plädiert für eine "Untersuchung des Polizeialltags" - um Belastungen zu dokumentieren. Aber auch um herausfinden, warum sich mitunter "Vorurteile gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen" bei einzelnen Beamten verfestigten, und was man dagegen tun kann. "Defizite einzuräumen, zeugt von Größe. Sie zu überwinden, zeugt von Stärke. Unsere Polizei hat beides", erklärte GdP-Vize Jörg Radek am Donnerstag in Berlin nach einer Sitzung des Bundesvorstandes.

Unterdessen geht die nordrhein-westfälische Polizei weiteren 16 Hinweisen auf rechtsradikale oder rassistische Äußerungen in den eigenen Reihen nach, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dem Innenausschuss des Landtags berichtete.

So seien fünf NRW-Polizisten mit rechtsgerichteten Äußerungen in dem Internetforum "net4cops" aufgefallen. Diese seien nach vorläufiger Bewertung zwar nicht strafrechtlich, aber disziplinarrechtlich relevant.

Erst an diesem Donnerstag sei ein weiterer Beamter des Polizeipräsidiums Essen vom Dienst suspendiert worden. Sein Fall habe nichts mit den rechtsradikalen Inhalten in Chat-Gruppen zu tun.

In diesem Komplex sei die Zahl der verdächtigen Beamten inzwischen um einen weiteren auf 31 gestiegen. Am 16. September seien bei den Durchsuchungen wegen der fünf Chat-Gruppen mit rechtsextremen und rassistischen Inhalten über 200 elektronische Speichermedien mit einem Volumen von neun Terabyte sichergestellt worden.

Alltagsrassismus sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, stellte die GdP fest. Diese Denkmuster sollten daher in allen Bereichen untersucht werden - "einschließlich der Polizei". Forscher, die den Polizeialltag betrachten, könnten helfen, Faktoren zu identifizieren, die "eine rechtsstaatliche Fehlerkultur" fördern.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich gegen eine Rassismus-Studie, die nur die Polizei in den Blick nimmt, ausgesprochen. An dieser Haltung änderte sich auch nach dem Bekanntwerden rechtsextremer Chats von Polizisten in Nordrhein-Westfalen nichts.

Seehofer hatte allerdings schon zuvor das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragt, Informationen zu rechtsextremistischen Vorfällen in den Sicherheitsbehörden zusammenzutragen. Das Ergebnis soll demnächst veröffentlicht werden. Außerdem zeigte sich Seehofer offen für eine breit angelegte Studie zu Rassismus in Deutschland, die sich nicht nur mit der Polizei beschäftigt.

Auch wenn es sich bei den rechtsextremen Umtrieben nur um Wenige handele, verursachten diese einen erheblichen Schaden für die Polizei insgesamt, da dadurch das Vertrauen der Bürger in diese Institution erschüttert werde, erklärte Radek. "Die GdP ist nach wie vor zutiefst davon überzeugt, dass es keinen latenten, strukturellen oder institutionellen Rassismus in der Polizei gibt", heißt es jetzt in einem Papier der GdP mit der Überschrift "Halt geben - Haltung stärken".

Die Gewerkschaft wirft darin auch die Frage auf, warum manche Beamte empfänglicher sind für fragwürdige Botschaften als andere: Arbeitsüberlastung, oder auch "das tägliche Erleben, dass der Rechtsstaat in manchen Bereichen in ihren Augen nicht mehr zu funktionieren scheint", könnten da eine Rolle spielen. Die Gewerkschaft betonte jedoch: "Klar muss ebenso sein, dass die immensen Belastungen im Dienstalltag keine Rechtfertigung für Rassismus- und Extremismusgedanken sein dürfen."

Die Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Andrea Lindholz (CSU) sagte: "Ich halte den Ansatz der GdP für sehr interessant." Ziel müsse es sein, die Polizei und ihre inneren Abwehrkräfte zu stärken. "Daher ist es sinnvoll den Polizeialltag und den individuellen Umgang mit den täglichen Belastungen zu untersuchen."

Auch aus Sicht des FDP-Innenpolitikers Benjamin Strasser wäre es gut, sich neben der rein quantitativen Analyse auch "den Gründen zu widmen, warum und wie extremistische und rassistische Einstellungen bei Polizeibeamten entstehen können." Hier könnte nun "ein guter und unaufgeregter Kompromiss in der Debatte entstehen und unsere grundsätzlich korrekt arbeitende Polizei noch besser machen".

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