Berlin. 2015 kamen Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland und mussten sich ein neues Leben aufbauen. Diese drei haben „es geschafft“.

Es war eine Entscheidung, die das Land verändern sollte. Vor fünf Jahren zeigte sich Deutschland bereit, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen. Die Stimmung im Land war damals aufgeheizt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihren berühmt gewordenen Satz „Wir schaffen das“ bereits gesprochen. Kritiker der Flüchtlingspolitik empfanden den Ausspruch als Provokation, Befürworter von Merkels Linie sahen darin eine Ermutigung.

Nach der Silvesternacht 2015, als es in Köln zu massenhaften sexuellen Übergriffen durch Migranten kam, schien die öffentliche Stimmung zu kippen. Es stellte sich die Frage: Hat Merkel in der Asylpolitik die richtige Entscheidung getroffen? Inzwischen sind fünf Jahre vergangen. Schon seit Längerem vermeidet Merkel, ihren Satz „Wir schaffen das“ zu wiederholen. Dabei gibt es etliche Fälle, die genau das zeigen. Vor allem unter jungen Leuten, die als Minderjährige nach Deutschland kamen, finden sich beeindruckende Beispiele.

Flüchtlinge in Deutschland: Sie haben es geschafft

So wie Tarek Mezal. „Moin“, sagt er zur Begrüßung, ganz norddeutsch. Seit fünf Jahren lebt er in Bremen. Im Juli 2015 hatte Mezal seine Heimatstadt Deir ez-Zor in Ostsyrien verlassen. Allein. Er war damals 15 und wollte dem IS entkommen. Die Terrormiliz wollte junge Männer wie Mezal zu Kriegern ausbilden. „Ich habe gesagt, ich will keine Waffe tragen und keine Menschen umbringen.“ Er beschloss zu fliehen, über die Türkei nach Griechenland, dann über den Balkan nach Deutschland.

Die genaue Route weiß er nicht. Er konnte damals die lateinischen Buchstaben auf den Straßenschildern noch nicht lesen. Inzwischen spricht der 20-Jährige nahezu akzentfrei Deutsch und hat es in der Schule so weit gebracht, dass er ein Förderstipendium der Start-Stiftung bekommen hat. Die Organisation unterstützt talentierte Jugendliche aus Zuwandererfamilien durch Weiterbildungen, mit einem eigenen Laptop und 1000 Euro im Jahr für Schulmaterial. Kommentar: Fünf Jahre Flüchtlingsherbst: Ankunft in der Realität

Tarek Mezal: „Deutschland ist meine Zukunft“

„Seitdem ich hier bin, habe ich begonnen, mir ein Leben aufzubauen. Ich habe verstanden: Bildung und Sprache sind der Schlüssel für alles hier. Da habe ich sehr viel Zeit investiert“, erzählt er. Mezal schaffte seinen mittleren Schulabschluss, absolviert derzeit eine Ausbildung als Bürokaufmann und macht nebenher die Fachhochschulreife. Lesen Sie hier: Flüchtlinge: Deutschland ist Hauptzielland für Asylbewerber

Inzwischen leben ein Bruder und drei seiner Schwestern in Deutschland, ein weiterer Bruder ist in Österreich. Die Mutter floh in die Türkei. Mezals Vater starb in Syrien durch eine Bombe. Natürlich kämen die Bilder von früher immer wieder hoch, „man kann das alles nicht vergessen“, erzählt Mezal.

Tarek Mezal
Tarek Mezal © PrivaT

„Aber mir wurde irgendwann klar, dass ich nicht vorankomme, wenn ich die ganze Zeit nur daran denke, was hinter mir liegt. Ich musste es vergessen, um meine Zukunft hier aufzubauen.“ Er habe für sich entschieden: „Deutschland ist meine Zukunft, ich bin angekommen. Ich fühle mich gut hier.“ Zurück nach Syrien will er nicht, „dort wartet nichts auf mich. Es ist alles zerstört.“ Für ihn steht fest: „Ich bleibe hier.“

Umed Danesch: „Ich fühle mich als Teil der Gesellschaft“

Das will auch Umed Danesch. 2013 floh er als damals Zwölfjähriger aus Herat in Afghanistan, gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester. Der Vater blieb in Afghanistan. Heute lebt Danesch in Fulda. Er geht aufs Gymnasium und macht in drei Jahren Abitur. Danach will er Astrophysiker werden. Seine Mitschüler seien „cool“ gewesen und hätten ihn schnell aufgenommen.

„Ich fühle mich als Teil der Gesellschaft“, sagt der 18-Jährige, „das ist mein Land.“ Deutschland bedeute Sicherheit und Demokratie. Auch kulinarisch ist Danesch angekommen. Er schwärmt: „Ich finde Schnitzel richtig gut.“

Umed Danesch.
Umed Danesch. © FotoWerk Fulda

Doch in seine Erzählung mischt sich Bitterkeit. „Es gibt Situationen, in denen ich das Gefühl habe, nicht akzeptiert zu werden. Ich werde sonderbar angeschaut.“ Inzwischen spreche er gut Deutsch, „das hilft mir, Dinge zu klären“. Denn vieles, was behauptet werde, stimme nicht. „Es gibt Leute, die sagen, Flüchtlinge sind etwas Schlechtes“, daher sei es wichtig zu widersprechen.

Leen Alkhlaf: „Ich will hier in Deutschland etwas erreichen“

Die 18-jährige Leen Alkhlaf hatte keine solchen Erlebnisse. „In meinem persönlichen Umfeld habe ich nie Rassismus erlebt“, aber natürlich habe sie Angst, „von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden“. Doch sie denke sich: „Ich habe nichts Böses gemacht und bin auch keine schlechte Person.“ Sie wisse, dass auch solche Leute nach Deutschland gekommen seien, „aber es sind auch viele gute Menschen dabei“.

Alkhlaf kam mit 13 aus Damaskus nach Deutschland. Das war im September 2015. Heute lebt sie mit ihrer Familie im hessischen Pohlheim. Wie Mezal und Danesch ist auch Alkhlaf Stipendiatin der Stiftung, auch sie spricht fließend Deutsch und hat Ideen für die Zukunft: „Ich will hier in Deutschland etwas erreichen“, sagt sie. Am liebsten würde sie Sportmedizin studieren. Lesen Sie auch: Jung, geflohen – und auch in Deutschland alleingelassen?

Leen Alkhlaf.
Leen Alkhlaf. © PrivaT

Dennoch ist Alkhlaf klar, dass es nicht bei allen so gut läuft. „Es gibt Geflüchtete, die sich in Deutschland nicht so gut einleben.“ Manche wohnten in Regionen, in denen Ausländer nicht akzeptiert seien, „andere leben immer noch im Schock über das, was sie in ihren Heimatländern verloren und zurückgelassen haben“. Viele blickten zurück auf ihr altes Leben, „dadurch fällt es ihnen schwer, hier wirklich anzukommen“.

Angela Merkel werden sie nicht vergessen

Eine Frau werden Alkhlaf, Mezal und Danesch wohl ihr Leben lang nicht vergessen: Angela Merkel. „Sie ist ein empathischer Mensch mit einem starken Charakter“, sagt Danesch, „deshalb finde ich es schade, dass sie ab nächstem Jahr nicht mehr Kanzlerin sein wird.“ Mezal sieht es ähnlich: „Ich finde ihr Handeln sehr mutig.“ Merkels Satz „Wir schaffen das“ finde er richtig, „denn wir haben bis jetzt sehr viel geschafft“. Er werde Merkel vermissen.

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