Berlin. Der Online-Dienst stellt weltweit Daten über Staus zur Verfügung. In Kriegslagen kann das gefährlich sein. Google hat jetzt reagiert.

Als in den frühen Morgenstunden vor knapp einer Woche russische Truppen ihren Einmarsch in der Ukraine starten, da ist Jeffrey Lewis einer der ersten, der es weiß. Um 3.15 Uhr nachts, vergangener Donnerstag, entdeckt der Militärexperte vom Middlebury Institute of International Studies in Kalifornien einen verdächtigen Stau. Er ist nicht mittendrin, er sitzt in den USA vor seinem Computer. Aber er sieht den Stau auf dem Online-Dienst Google Maps. Im Südwesten von Russland, direkt vor der ukrainischen Grenze.

Google Maps ist ein riesiger weltweiter Dienst. Dort sammelt der IT-Gigant Daten von Android-Handys. Wer so ein Betriebssystem auf seinem Smartphone nutzt, sendet in der Regel Daten über die eigene Bewegung an den Kartendienst von Google. Stocken diese Bewegungen, meldet Google dort einen Stau.

Mit Hilfe von Satellitenbildern werden Stellungen der Truppen ausfindig gemacht

Um 3.15 Uhr an der ukrainischen Grenze stocken offenbar viele Android-Handys. Experte Lewis geht nicht davon aus, dass russische Soldaten Handydaten senden. Doch es könnten Passanten sein, die den Grenzgang nachts passieren wollen, aber aufgrund von Militärkolonnen nur langsam oder gar nicht vorankommen.

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Die Geschichte von Jeffrey Lewis ist eine Randnotiz in einem Krieg in der Ukraine, der immer mehr Opfer fordert. Die russische Armee rückt weiter vor, bombardiert mittlerweile auch ukrainische Metropolen wie Charkiw und die Hauptstadt Kiew.

Doch der Fall zeigt, wie relevant in Kriegslagen digitale Daten mittlerweile geworden sind. Mit Hilfe von Satellitenbildern werden Stellungen der Truppen ausfindig gemacht. Mit Hilfe von Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken teilen die Menschen Informationen über den Krieg, die in russischen Staatsmedien unterdrückt werden. Cyberangriffe durch pro-russische Hackergruppen zielen auf die Infrastruktur der Ukraine ab – auch digital wurde der Krieg vorbereitet.

US-Internetfirma Google stoppt den digitalen Kartendienst für die gesamte Ukraine

Nun reagiert auch Google. Die US-Internetfirma stoppt den digitalen Kartendienst für die gesamte Ukraine. Anzeigen über die Verkehrslage enden nun an der polnischen oder slowakischen Grenze. Der Grund: Die Gefahr des Missbrauchs durch russisches Militär ist zu groß. Google will die Bevölkerung schützen. Und auch den Einfluss auf die Militärtaktik verhindern. Fachleute hatten Google informiert.

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Das russische Militär nimmt offenbar zunehmend auch zivile Ziele ins Visier. Das Regierungsgebäude der Metropolen Charkiw wurde durch einen schweren Raketenangriff getroffen. Die Schäden sind immens, es ist von getöteten Zivilisten auszugehen.
Das russische Militär nimmt offenbar zunehmend auch zivile Ziele ins Visier. Das Regierungsgebäude der Metropolen Charkiw wurde durch einen schweren Raketenangriff getroffen. Die Schäden sind immens, es ist von getöteten Zivilisten auszugehen. © AFP | SERGEY BOBOK

So konnte bisher die Flucht von Menschen aus der Ukraine etwa in Richtung polnische Grenze auf Google Maps nachverfolgt werden. Laut dem Kartendienst bildeten sich kilometerlange Staus. Das deckt sich mit Informationen über riesige Schlangen an fliehenden Menschen in ihren Autos. Teilweise soll es nach Informationen deutscher Sicherheitsbehörden bis 70 Stunden gedauert haben, bis Menschen endlich über die Grenze fliehen konnten. Und noch immer ist die Lage sehr angespannt.

Seit dem Jahr 2005 bietet der Suchmaschinen-Gigant Google den Kartendienst an

Google zeigt diese Grenzstaus nicht mehr an. Auch um die fliehenden Menschen zu schützen. Betroffen sind nach Berichten der Nachrichtenagentur Reuters auch die bisher angezeigten Daten darüber, wie viele Menschen sich in Geschäften aufhalten. Sofern russische Militärs auf Wohngebiete zielen, könnten das fatale Informationen sein.

Seit dem Jahr 2005 bietet der Suchmaschinen-Gigant Google, der zum Mutterkonzern Alphabet gehört, den kostenlosen digitalen Kartendienst an. Neben Satellitenbildern von Google Earth bietet der Dienst auch Offline-Navigation für bestimmte Regionen eines Landes an. Die Führungskräfte von Google hatten sich nun vor dieser Entscheidung nach eigenen Angaben mit Organisationen, aber auch lokalen Behörden in der Ukraine beraten.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt