Bei der Sicherung der Gasversorgung geht Wirtschaftsminister Habeck pragmatisch vor. Doch auf einen zentralen Punkt fehlen Antworten.

Bundeskanzler Olaf Scholz bremst. Bevor er darüber reden will, wem im Ernstfall die Gasversorgung abgedreht und wer per Gesetz zum Energiesparen verdonnert wird, will er erst mal ein Gesamtkonzept abwarten. Was passiert, wenn Kremlchef Wladimir Putin als Druckmittel im Ukraine-Krieg bald vielleicht gar kein Erdgas mehr durch die Pipelines nach Deutschland liefert?

Gehen in der Industrie die Lichter aus? Müssen wir im Winter zu Hause dicke Pullis und Jacken anziehen?

Den zentralen Teil des von Scholz verlangten Gesamtkonzepts dürfte am Wochenende postwendend Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgelegt haben. Mit seinem Aktionsplan zum Gassparen will der Grünen-Politiker die unterirdischen Gasspeicher schnell füllen, die Industrie mit Anreizen statt Verboten zum Energiesparen bewegen sowie den Gasverbrauch bei der Stromerzeugung spürbar senken.

Und, das dürfte für Habeck, der auch Klimaschutzminister ist, das schwierigste Thema sein: alte Kohlekraftwerke im Krisenfall wieder schnell ans Netz bringen.

Reaktivierung von alten Kohlekraftwerken – ein notwendiges Übel

Geht der Plan auf und sind die Gasspeicher rechtzeitig zur kalten Jahreszeit gefüllt, spricht vieles dafür, dass Deutschland mit diesen Reserven sowie Gas aus den Niederlanden, Norwegen und heimischer Förderung ohne massive Einschränkungen durch den nächsten Winter kommt. Das ist ein wichtiges Signal gegen die Verunsicherung, die Russlands Präsident weltweit verbreiten will. Weiterlesen:Russland reduziert weiter: So knapp wird jetzt das Gas

Wirtschaftskorrespondent Alexander Klay
Wirtschaftskorrespondent Alexander Klay © Reto Klar | Reto Klar

Bei der Abwendung der drohenden Gasnotlage handelt der grüne Minister Habeck pragmatisch und nicht ideologiegetrieben. Das zeigt die geplante Reaktivierung der Reserve an Kohlekraftwerken. Der Schritt dürfte in der Klimaschutz-Partei sicherlich nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen, ist aber ein notwendiges Übel für einen kurzen Zeitraum.

Denn was wären die Alternativen? Die letzten drei Atomkraftwerke doch nicht wie geplant zum Jahresende abschalten? Schwierig bis unmöglich. Seit Jahren haben sich die Betreiberfirmen auf den Abschalttermin eingerichtet. Mit jedem Tag, den der Jahreswechsel näher rückt, wird ein Weiterbetrieb aufgrund der nötigen Vorbereitungen unrealistischer.

Über Fracking und Atomenergie zu sprechen, bringt uns nicht weiter

Oder die bescheidene deutsche Erdgasförderung durch das umstrittene Fracking hochfahren? Das dürfte wegen des geringen Nutzens und großen Widerstands gegen mögliche Umweltrisiken und Erdbebengefahr kaum durchzusetzen sein, schon gar nicht zeitnah.

Politiker, die diese Konzepte aus der Vergangenheit in die Diskussion einbringen, sollten ihre Kraft lieber in den dringend nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien stecken. Mit mehr Strom aus Sonne und Wind wäre Deutschland nicht mehr abhängig vom russischen Gas. Mehr zum Thema:LNG-Terminals gegen Gasknappheit: Kommen sie rechtzeitig?

Ob Habecks Plan schon der große Wurf ist, der Deutschland durch einen möglichen Krisenwinter bringt, muss sich noch zeigen. Klar ist aber schon jetzt: Für das von Kanzler Scholz verlangte Gesamtkonzept muss ein weiterer Baustein folgen: Wer soll das alles bezahlen? Prämien für die Industrie und die Wiederinbetriebnahme alter Kraftwerke gibt es schließlich nicht zum Nulltarif.

Für Verbraucherinnen und Verbraucher werden Heizung und Strom in den kommenden Monaten noch teurer, als sie es derzeit ohnehin schon sind. Obendrein dürften sich viele Produkte des alltäglichen Bedarfs durch die steigenden Energiekosten weiter verteuern. Auf den Rettungsplan für die Energieversorgung muss also dringend ein Entlastungsplan für die Menschen in Deutschland folgen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de