Berlin. Der Verfassungsschutzchef ist überzeugt, dass bei den Protesten gegen die Corona-Politik teilweise eine neue Szene von Extremisten mit im Spiel ist, die den Rechtsstaat grundlegend ablehnt.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, erkennt unter den Demonstranten gegen die Corona-Politik auch eine neue Szene von Staatsfeinden.

Diese ließen sich den bisherigen Kategorien wie Rechts- oder Linksextremismus nicht mehr eindeutig zuordnen, sagte Haldenwang der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie verbinde keine ideologische Klammer, sondern die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten. "Sie lehnen unser demokratisches Staatswesen grundlegend ab."

Dabei brauchten diese Extremisten auch kein spezifisches Thema. Die Pandemie sei nur der Aufhänger: "Ob das jetzt Corona ist oder die Flüchtlingspolitik. Oder auch die Flutkatastrophe: Da hat man teilweise die gleichen Leute gesehen, die versuchten, den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen", sagte Haldenwang. Wie groß die Szene sei, könne man noch nicht verlässlich sagen, weil sie ausgesprochen heterogen sei.

Haldenwang beschrieb "immer stärkere Parallelen zwischen Pegida und den "Corona-Spaziergängen"". Teilweise würden die gleichen Parolen gerufen. Lange habe es so ausgesehen, als versuchten Rechtsextreme erfolglos, das Demonstrationsgeschehen zu prägen. "Das verschiebt sich aktuell. So ist es in Sachsen den "Freien Sachsen" gelungen, einen deutlichen Einfluss auf die vielschichtige Protestbewegung in der Region zu nehmen. Insofern kann man sagen, dass Rechtsextremisten zumindest regional an Einfluss gewinnen." "Freie Sachsen" ist eine Kleinstpartei, die für den Verfassungsschutz des Freistaates erwiesen rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich ist.

"Polizei zunehmend als Feindbild im Fokus"

Dabei verändere sich die Dynamik bei den Protesten gegen die Corona-Politik. Früher habe es vor allem große Demonstrationen gegeben. Jetzt sei das Geschehen dezentraler, und es gingen mehr Menschen auf die Straße. So habe es allein in der ersten Januarwoche an einem Tag mehr als 1000 Veranstaltungen mit mehr als 200.000 Menschen gegeben. Sorge bereite auch die Radikalität einiger Teilnehmer, die nicht nur durch Gewalt gegen Polizei und Medienvertreter zum Ausdruck komme, sondern auch durch Hassparolen im Internet.

"Auffällig ist, dass die Polizei zunehmend als Feindbild in den Fokus rückt. Einsatzkräfte werden nicht nur bei den Protesten, sondern auch im virtuellen Raum zunehmend angefeindet und beispielsweise als "Söldner" oder "Mörder des Systems" diffamiert", so Haldenwang.

Der Verfassungsschutzchef äußerte die Befürchtung, Extremisten des neuen Phänomenbereichs könnten sich nach dem Ende der Pandemie ein neues Thema suchen, um es für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies könnten beispielsweise staatliche Maßnahmen zum Klimaschutz sein: "Denkbar ist auch, dass man auf das Thema Klimaschutz aufsattelt. Eine Intensivierung staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels könnte als unrechtmäßig empfunden und abgelehnt werden", so Haldenwang.

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