Hamburg. Die Hamburger haben eine neue Bürgerschaft gewählt. Während SPD und Grüne jubeln dürfen, haben CDU, FDP und AfD Verluste zu beklagen.

Es sind klare Zeichen, die die Hamburger bei der Bürgerschaftswahl gesetzt haben – zumindest für die Politik in der Hansestadt. SPD und Grüne sind am Sonntag die klaren Gewinner, während die CDU den Prognosen zufolge auf ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis seit fast 70 Jahren stürzt. FDP und AfD müssen am Wahlabend lange zittern, ob es für die Fünf-Prozent-Hürde reicht. Während sich für die AfD am späten Abend abzeichnet, dass sie den Wiedereinzug knapp schaffen könnte, sieht es für die FDP eher nicht danach aus.

In Zeiten des mutmaßlich rassistisch motivierten Anschlags von Hanau und der noch immer ungelösten Krise bei der Regierungsbildung in Thüringen sind es in Berlin nun vor allem die Union und die FDP, die sich Gedanken über ihre grundsätzliche Ausrichtung machen müssen. Es ist die einzige Wahl eines Landesparlamentes in diesem Jahr. Allerdings stehen in Bayern (15. März) und Nordrhein-Westfalen (13. September) noch Kommunalwahlen an.

Von Wahlparty bei der CDU kann an diesem Abend keine Rede sein. Nur ein kleines Häuflein von Anhängern ist ins Berliner Adenauer-Haus gekommen. Niemand hier hatte sich nach den Chaoswochen in Thüringen mit der Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten durch die Stimmen von AfD, CDU und FDP der Illusion hingegeben, dass man in Hamburg mit einem blauen Auge davon kommen könnte. Eisiges Schweigen herrscht, als um 18.00 Uhr der schwarze Prognose-Balken ihrer Partei schon bei 11,5 Prozent stoppt.

Lindner will strikte Abgrenzung der FDP zur AfD

Generalsekretär Paul Ziemiak muss das Desaster einräumen: „Das, was in Thüringen passiert ist und alle Diskussionen, die mit Thüringen in Zusammenhang waren, waren alles andere als Rückenwind für die Wahlkämpfer der CDU in Hamburg“, sagt er über das miserable Abschneiden der Christdemokraten um Spitzenkandidat Marcus Weinberg.

Wie die CDU-Spitze muss auch FDP-Chef Christian Lindner einräumen, dass das Debakel bei der Thüringer Ministerpräsidentenwahl den Liberalen in Hamburg Stimmen gekostet hat: „Da muss Vertrauen erst wieder wachsen, das ist doch völlig klar nach so einem Ereignis.“ Angesprochen auf persönliche Konsequenzen, sagte er in der ARD, die Frage stelle sich nicht: „Wir gewinnen gemeinsam und verlieren auch gemeinsam.“ Im ZDF kündigt Lindner eine strikte Abgrenzung von der AfD auch auf Landesebene an, auch bei „harmlosen“ AfD-Initiativen werde man nicht mehr zustimmen. „Da hat es ein Umdenken gegeben.“

Die SPD hat dagegen endlich mal wieder allen Grund zu jubeln – doch sehen so Sieger aus? Dass die Hamburger Genossen und die Bundes-SPD zwei Welten sind, ist mit Händen zu greifen. Wahlsieger Peter Tschentscher wird 20 Minuten nach Schließung der Wahllokale in Hamburg mit frenetischem Applaus gefeiert. Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Parteizentrale, treten die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor zwei Dutzend Journalisten auf. Gefeiert wird bei der finanziell klammen SPD an Wahlabenden schon lange nicht mehr. Die beiden linken Parteichefs waren im Hamburger Wahlkampf unerwünscht - die Elb-Genossen schafften die größtmögliche Abkoppelung vom seit Monaten miserablen Bundestrend.

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Grüne verdoppeln ihren Stimmanteil in Hamburg

Hat die SPD im Norden also trotz oder auch ein bisschen wegen der SPD im Bund gut abgeschnitten? Es klingt schon sehr bescheiden, als Walter-Borjans betont: „Wir haben vor einer Stunde mit Peter Tschentscher telefoniert (...), und wir haben ihm natürlich herzlich gratuliert.“ Die Bundespartei habe „einen guten Beitrag“ zum Ergebnis geleistet. Die Co-Vorsitzende Esken meint: „Wir arbeiten hier im Willy-Brandt-Haus daran, dass die SPD mit einer klaren Botschaft (…) wieder sichtbar und erkennbar wird.“ Es klingt nicht so, als glaube man in der Parteispitze an eine Trendwende durch Hamburg.

Da ist die Stimmung bei den Grünen eine ganz andere – auf der Wahlparty jubeln sie gleich zweimal, über das eigene Ergebnis und das schwache Abschneiden der AfD. Es hat zwar nicht geklappt, nach Baden-Württemberg in einem zweiten Bundesland ganz nach vorn zu kommen. Aber sie können Hochrechnungen zufolge ihren Stimmanteil in der Hansestadt verdoppeln auf rund 25 Prozent.

Parteichef Robert Habeck findet, es sei genau richtig, dass sie mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank ins Rennen um Platz eins gegangen seien. Und im Bund sei die Lage ja nochmal ganz anders, heißt es in der Grünen-Zentrale, denn da kämpfe aller Voraussicht nach kein Amtsinhaber mehr um die Wiederwahl.

Unsicher blieb die Lage am Sonntag bei der AfD – profitieren konnte sie von der Thüringen-Krise jedenfalls nicht, der Anschlag von Hanau hat die Rechtspartei nach Einschätzung von Experten Stimmen gekostet. Sollten sich die Zahlen der Hochrechnungen verfestigen, könnte es die rechtspopulistische Partei, die 2015 noch auf 6,1 Prozent kam, knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Krisenmodus bleibt der CDU wohl noch eine Weile erhalten

In den Berliner Parteizentralen steht nun die Aufarbeitung der Wahl an. Die Blicke dürften sich vor allem auf die CDU richten, wo die Führungsfrage nach dem angekündigten Rückzug von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer weiterhin ungelöst ist. Und auch in Thüringen ist die Krise für die CDU noch lange nicht ausgestanden.

Im Gegenteil, am Wochenende hat sie erneut an Schwung gewonnen. Es bleibt unklar, woher Bodo Ramelow (Linke) für eine Wahl am 4. März fehlende Stimmen bekommen soll, um Ministerpräsident zu werden – Rot-Rot-Grün hat keine Mehrheit. Ziemiak hatte sich erneut entschieden gegen eine Wahl Ramelows mit Hilfe der CDU ausgesprochen. Er sagte aber auch: „Die Abgeordneten im Landtag von Thüringen sind nach der Verfassung frei.“

Es ist eine geheime Wahl. Wer wen wählt, kann keiner nachprüfen. Bekommt Ramelow die notwendigen Stimmen von der CDU, von der FDP – oder gar von der AfD, was er auf keinen Fall will? Da könnte auch die Bundes-CDU die Einstellung bekommen: Augen zu und durch. Es fehlt nicht an Konfliktstoff und schwierigen Fragen - längst nicht nur in der CDU. (fmg)