Berlin . Jobcenter strafen Hartz-IV-Empfänger kaum ab. Die Zahlen sind radikal gesunken. Das hat viel mit einem Urteil zu tun. Und mit Corona.

  • Es werden immer weniger Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger ausgesprochen
  • Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Sanktionen zwar, liegt aber deutlich unter dem Niveau von vor der Pandemie
  • Unterdessen gibt es Forderungen nach einer Reform des Systems

Im Jahr 2021 sprachen die Jobcenter nur 193.729 Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger aus, etwas mehr als im Vorjahr. 2019 waren es allerdings noch über 800.000 gewesen. Die Zahl ist drastisch zurückgegangen. Warum?

Die Bundesagentur für Arbeit sieht dafür zwei Gründe. Der erste und wichtigste ist, dass das Bundesverfassungsgericht Anfang November 2019 entschieden hat, dass nicht alle Sanktionsregelungen in der Grundsicherung verhältnismäßig seien. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bedürfe es einer Übergangslösung, so die Richter. Dem trug die Bundesregierung durchaus Rechnung. Vor wenigen Wochen beschloss sie, die Sanktionen bis Jahresende auszusetzen.

Weniger Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Ein Urteil und Corona als Erklärung

Nur wer ohne wichtigen Grund nicht zu vereinbarten Terminen im Jobcenter erscheint, muss nach wie vor "mit leistungsrechtlichen Konsequenzen rechnen". Das führt zumindest indirekt zur zweiten Erklärung für den Rückgang: die Arbeitslosigkeit in Zeiten von Corona.

Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 kam es aus Gründen des Infektionsschutzes zu weniger persönlichen Beratungen; sie wurden ersatzweise zunehmend telefonisch abgewickelt. Das machte es den Empfängern nicht nur leichter, ihren Pflichten nachzukommen, sondern auch – sie zu verletzen. Denn: Telefonische Beratungstermine werden laut der Nürnberger Agentur "ohne Rechtsfolgen verschickt". Im Klartext: Ein mögliches Versäumnis bleibt folgenfrei. Deswegen sank der Anteil der "Minderungen" für Terminversäumnisse auf 52 Prozent. Üblich waren vorher 75 Prozent.

Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt in den Coronajahren unter Druck geriet. Es konnten weniger Jobs angeboten und vermittelt werden. Weniger Sanktionen waren eine logische Folge. Denn typische Gründe für Strafen sind eben Menschen, die sich weigern, eine "zumutbare Arbeit" anzunehmen oder eine Eingliederungsmaßnahmen nicht antreten, beziehungsweise abbrechen.

Hartz IV: Sanktionen sollen 2023 wieder eingeführt werden

Ab 2023 soll es wieder zu Sanktionen kommen. Eine Reform wird diskutiert und vom Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, ausdrücklich begrüßt. Für Terminversäumnisse ohne wichtigen Grund sollten weiterhin Minderungen ausgesprochen werden, forderte er: Man brauche "eine Handhabe gegen die kleine Gruppe, die sich sonst entzieht". Scheele: "Weil wir sonst den Kontakt zu ihnen verlieren und ihnen nicht mehr helfen können.“

Die große Mehrheit der Menschen, die von den Jobcentern auf ihrem Weg in Arbeit unterstützt werde, komme mit Sanktionen gar nicht in Berührung, so Scheele. "Es ist für unsere Arbeit kontraproduktiv, die Miete zu kürzen oder Jugendliche anders zu behandeln als Erwachsene", versicherte er. Ebenso wichtig sei, "dass wir besondere Härten berücksichtigen und Sanktionen vorzeitig beenden können."

Die insgesamt 194.000 Sanktionen 2021 sind ein leichter Anstieg – um knapp 23.000 – im Vergleich zum Vorjahr. 2021 blieben demnach 97 Prozent der Hartz-IV-Bezieher in Deutschland von Sanktionen unberührt, betroffen davon waren nur drei Prozent. Insgesamt erhalten nach Angaben der Nürnberger Agentur rund 3,6 Millionen Menschen Hartv IV.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.