Rom. Italiens Ministerpräsident Mario Draghi will wegen einer Regierungskrise zurücktreten. Präsident Mattarella hat das Gesuch abgelehnt.

In einer durch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ausgelösten Regierungskrise in Italien hat Staatspräsident Sergio Mattarella das Rücktrittsgesuch von Ministerpräsident Mario Draghi abgelehnt. Mattarella habe „den Rücktritt nicht akzeptiert und den Ministerpräsidenten aufgefordert, eine Erklärung vor dem Parlament abzugeben“, teilte der Präsidentenpalast am Donnerstagabend mit. Draghi hatte zuvor seinen Rücktritt angekündigt.

Italien erlebt damit ein politisches Erdbeben. 17 Monate nach dem Amtsantritt einer Mehrparteienregierung um Mario Draghi wirft der Premier das Handtuch. Der Ex-EZB-Chef zog die Konsequenzen aus den Spannungen mit der stärksten Regierungspartei, der linkspopulistischen Fünf Sterne-Bewegung, die im Parlament ein umfangreiches Maßnahmenpaket Draghis abgelehnt hat. Italien rutscht also mitten in einer Dürre- und Energie-Notlage, dem Krieg in der Ukraine und wichtigen anstehenden Entscheidung für EU-Gelder in eine tiefe politische Krise.

Italien: Draghis Rücktrittsgesuch abgelehnt

Bei einem Vertrauensvotum über das Maßnahmenpaket konnte sich Draghi zwar mit 172 Ja-Stimmen und 39 Gegenstimmen durchsetzen, die Fünf Sterne-Bewegung um Expremier Giuseppe Conte beteiligte sich jedoch nicht an der Abstimmung. Damit ist die Koalition der "nationalen Einheit", die inmitten der Pandemie im Februar 2021 entstanden war, de facto zu Ende.

Die breite Koalition aus allen im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der Rechtskraft "Brüder Italiens" hat sich vor allem in den letzten Wochen als durchaus wackelig erwiesen. Divergenzen traten um Draghis Kurs in Sachen Ukraine-Konflikt und um seine Arbeits- und Sozialpolitik auf.

Lesen Sie auch: EU muss eine neue Eurokrise verhindern

"In den letzten Tagen habe ich mich bemüht, den gemeinsamen Weg fortzusetzen und versucht, die Forderungen der politischen Kräfte an mich zu erfüllen. Wie die heutige Debatte und Abstimmung im Parlament zeigt, haben diese Bemühungen nicht ausgereicht", sagte Draghi bei einer Ministerratssitzung, bei der er seinen Rücktritt verkündete.

"Der Pakt des Vertrauens, der die Grundlage der Regierung bildet, ist gescheitert", fügte Draghi hinzu. Präsident Sergio Mattarella nahm jedoch Draghis Rücktritt nicht an und rief den Premierminister auf, am kommenden Mittwoch dem Parlament über die politische Lage zu berichten. Das Staatsoberhaupt, der Neuwahlen abwenden will, hofft, dass bis dahin eine neue Koalition zustande kommt.

Regierungskrise hat deutliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte

"Seit meiner Antrittsrede im Parlament habe ich immer wiederholt, dass dieses Kabinett nur dann existenzberechtigt ist, wenn es eine klare Chance zur Umsetzung des Regierungsprogramms gäbe, dem die politischen Kräfte ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Zusammenhalt war bei der Bewältigung der Herausforderungen dieser Monate von grundlegender Bedeutung. Diese Bedingung ist heute nicht mehr gegeben", so der Ex-EZB-Chef, der bei seinem Amtsantritt als "Retter der Nation" gefeiert wurde. Er dankte seinen Ministern für ihre Arbeit und die erzielten Ergebnisse. "Wir müssen stolz darauf sein, was wir in einer sehr schwierigen Zeit im Interesse aller Italiener erreicht haben", erklärte Draghi.

Hintergrund ist ein Streit mit den Fünf Sternen zu Hilfsgeldern im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Die linkspopulistische Partei stemmt sich gegen die Entsendung weiterer Waffen an die Ukraine. Sie fordert die Einführung eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns und weitere Finanzierungen zum Erhalt des Bürgergelds, einer Priorität ihres Programms . Auch die Verabschiedung eines Sterbehilfe-Gesetzes und die Legalisierung von Cannabis-Anbau zwecks Privatkonsums urgieren die Fünf Sterne, wogegen sich die Rechtsparteien wehren. Umstritten ist auch der Plan für den Bau einer Müllverbrennungsanlage in Rom, den die ökologisch orientierte Gruppierung ablehnt, weil die Technologie dafür ihrer Ansicht nach veraltet sei.

Die Fünf-Sterne-Bewegung war als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl 2018 hervorgegangen. Seitdem ist sie in den Umfragen kontinuierlich abgestürzt. Auf Initiative des ehemaligen Vorsitzenden der Bewegung und amtierenden Außenministers, Luigi Di Maio, bildeten rund ein Drittel der Fünf-Sterne-Abgeordneten Ende Juni eine eigene Parlamentsfraktion. Damit wurde die stärkste Einzelpartei im Parlament stark geschwächt.

Erwartet wird jetzt, dass Präsident Mattarella politische Konsultationen zur Bewältigung der Regierungskrise starten wird. Gespräche werden in den nächsten Tagen mit den Parteichefs stattfinden. Es gilt jedoch als durchaus unwahrscheinlich, dass eine neue Regierungskoalition zustande kommen wird. Draghi hatte kürzlich entschieden ausgeschlossen, dass er ein zweites Kabinett führen wolle . Sollte der Staatschef keinen Ausweg aus der Regierungskrise finden, würde es zu Parlamentswahlen im Oktober kommen. Neuwahlen im Herbst wären für Italien ungewöhnlich, weil diese sich mit der Ausarbeitung und Verabschiedung des Budgetgesetzes für das nächste Jahr überschneiden würden.

Draghis Rücktritt löste besorgte Reaktionen in der EU und der Wirtschaft aus. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bezeichnete die Regierungskrise in Rom als schier "unbegreiflich". Die italienischen Unternehmer reagierten zutiefst empört. Die Mailänder Börse reagierte mit einem Rückgang von drei Prozent auf die politischen Entwicklungen.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.