Washington. Erstmals in seiner Präsidentschaft fliegt Joe Biden in den Nahen Osten. Ihn begleiten dorthin Kritik und etliche schwierige Themen.

Nach der grausamen Ermordung des saudischen US-Journalisten Jamal Khashoggi 2018 in der Türkei durch eine vom saudischen Königshaus befehligte Killer-Bande zog Joe Biden eine dicke rote Linie: Die auf Öl gründende Wüsten-Monarchie werde künftig, obwohl ein wichtiger strategischer Partner der USA, wie ein „Paria"-Staat behandelt und einen „hohen Preis” zahlen. Vorsätze von gestern.

Am Freitag wird der US-Präsident nach einer Visite in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten beim Kooperationsrat der Golf-Staaten in Dschidda auch auf den saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman treffen; jenen Mann, der nach internationalen Untersuchungen und Erkenntnissen von US-Geheimdiensten den Mord an Khashoggi persönlich in Auftrag gab.

Was Biden als „Neu-Kalibrierung” der Beziehungen bezeichnet, sprich Realpolitik, empfinden Kritiker in Amerika als Kotau vor einem Menschenrechte strangulierenden Staat, der das Öl-Kartell Opec anführt und somit die eskalierenden Preise an den amerikanischen Tankstellen beeinflussen kann.

Biden: Hinter verschlossenen Türen wird er auf Erhöhung der Ölproduktion dringen

Allen voran: Hatice Cengiz. Die damalige Verlobte Khashoggis, der im Herbst 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul seine Hochzeitspapiere abholen wollte und dort bestialisch getötet wurde, ist entsetzt: „Ihr Besuch wird Ihr Ansehen beflecken und an Autokraten in der ganzen Welt die Nachricht aussenden, dass sie Journalisten inhaftieren, foltern und sogar ermorden können, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte”, schrieb sie in der „Washington Post”.

An gleicher Stelle unternahm Biden in 1400 Worten den girlandenreichen Versuch, die Wiederannäherung an Riad als Gebot der Stunde darzustellen: Um eine Schlüsselmacht im Nahen Osten dem Zugriff Chinas und Russlands zu entwinden. Und um gleichzeitig den gemeinsamen Kampf gegen die Mullahs im Iran zu konsolidieren.

Davon, dass Biden hinter verschlossenen Türen dezent auf eine Erhöhung der saudiarabischen Ölproduktion dringen wird, um rechtzeitig vor den Zwischenwahlen im Kongress Anfang November die Portemonnaies der wütenden Pendler zwischen Los Angeles und Boston zu entlasten, war in dem Namenartikel nicht die Rede.

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Nahost-Besuch: Es soll auch um Bedrohung durch Raketen gehen

Ohnehin versucht das Weiße Haus, die mehrtägige Nahost-Visite in einen größeren Kontext zu schieben. So erklärte Biden am Rand des Nato-Gipfels in Madrid, es gehe darum, „Israels Integration in die Region zu vertiefen“. Gemeint ist eine intensive militärische Zusammenarbeit Tel Avivs mit einstigen Feinden.

Das Stichwort lautet nach Angaben von Israels Verteidigungsminister Benny Gantz „MEAD”. Das Kürzel steht für „Middle East Air Defense“ und soll sich dezidiert gegen die iranische Bedrohung durch Raketen und Marschflugkörper wenden. Laut Gantz sei dies in Einzelfällen bereits erfolgreich praktiziert worden.

Der zwischenzeitlich zurückgetretene israelische Regierungschef Naftali Bennett schloss nicht aus, dass etwa das neue Laser-Raketenabwehrsystem „Iron Beam” auch arabischen Staaten zur Verfügung gestellt werden könnte, die von Teheran bedroht werden. Biden wird darüber mit Interims-Premier Jair Lapid sprechen.

Die Vorbereitungen für den Besuch des US-Präsidenten in Jerusalem laufen.
Die Vorbereitungen für den Besuch des US-Präsidenten in Jerusalem laufen. © Ahmad Gharabli/AFP

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Einen substanziellen Vorstoß für eine Zwei-Staaten-Lösung wird es nicht geben

Nur am Rande wird der Uralt-Konflikt mit den Palästinensern eine Rolle spielen. Zwar besucht der Präsident in Bethlehem den Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Einen substanziellen Vorstoß für eine Zwei-Staaten-Lösung wird es aber nicht geben, heißt es in Regierungskreisen.

Bereits im Frühjahr legten die Amerikaner gemeinsam mit Israel und den Vertretern von sechs arabischen Ländern bei einem Geheimtreffen die Grundlagen für eine Annäherung tief verfeindeter Parteien. Dabei waren auch Saudi-Arabien und Katar, beide bisher ohne offizielle diplomatisch Beziehungen zu Israel. Itamar Rabinovich, früher israelischer Botschafter in Washington, spricht von „einer neuen Nähe zwischen Israel und den Golfstaaten.” Die Frage sei, ob die USA aus vielen Einzelteilen einen neuen, stabilen Verbund machen können.

Bidens Bemühungen setzen auf dem unter Vorgänger Donald Trump angestoßenen Normalisierungsabkommen („Abraham Accords”) zwischen Israel und den Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan im Herbst 2020 auf. „Mit einer wegen Khashoggi feindlichen Grundstimmung gegenüber Riad wird Biden die Saudis nicht dazu bringen, den Grundstein für eine Art nahöstlicher Nato zu legen”, sagen Experten in Washingtoner Denkfabriken, „wichtige Player werden dann ihre Hinwendung zu Moskau und Peking wohl nicht aufgeben.”

USA: Kritik an Saudi-Arabien gehört zum Straßenbild

Beide Großmächte versuchen den USA im Nahen Osten Paroli zu bieten und helfen massiv dem Mullah-Regime, das sich bei einer von den USA anvisierten Neuauflage des Atomabkommens widerspenstig zeigt. So wird Präsident Wladimir Putin in der nächsten Wochen Teheran besuchen. Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan geht davon aus, dass Moskau sich vom Iran Hunderte unbemannte Drohnen für den Kampf im Donbass erhofft.

Unterdessen gehört in der amerikanischen Hauptstadt die Kritik an Saudi-Arabien inzwischen fest zum Straßenbild. Washingtons Stadtobere haben das Stück der New Hampshire Avenue, an der die saudische Botschaft ansässig ist, demonstrativ in „Jamal Khashoggi Way“ umbenannt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.