Washington. Sie galt als Nachfolgerin von Joe Biden, inzwischen hat ihr Ansehen einen Tiefpunkt erreicht. Ist Harris ihrer Aufgabe nicht gewachsen?

Kabel oder kein Kabel? Besser: Drahtlose Bluetooth-Kopfhörer oder Lauscher mit Schnur-Verbindung? Unter allen Themen, die man sich im Zusammenhang mit einer amerikanischen Vizepräsidentin vorstellen könnte, müsste dieses technische Kinkerlitzchen wahrscheinlich ganz zum Schluss kommen.

Nicht bei Kamala Harris: Seit der Stern der 57-Jährigen, die an der Seite von Joe Biden als erste Frau ins zweithöchste Staatsamt gelangte, beständig im Sinkflug ist, finden sich in US-Medien regelmäßig nickelige Indiskretionen, die aus dem zuletzt unter hoher Fluktuation leidenden Führungskreis der ehemaligen Justizministerin Kaliforniens durchsickern. Und die Harris in das unvorteilhafte Licht einer latent zickigen Diva rücken, die für die Reservebank des Weißen Hauses nicht wirklich geeignet erscheint.

Profillos: Kamala Harris springen die eigenen Mitarbeiter ab

Ihre Abneigung gegenüber den weißen Ohrstöpseln, heißt es da etwa, rühre von der Angst her, von finsteren Mächten abgehört zu werden. Unterschwellige Botschaft der Berichterstatter: Die spinnt, die Frau. Nimmt man dann noch hinzu, dass rund um Harris Erschöpfung und Enttäuschung darüber herrschen sollen, dass die Tochter einer indischen Brustkrebsforscherin und eines Wirtschaftsprofessors aus Jamaika politisch einfach kein profilbildendes Gewicht auf die Waage bringe, ist der Ernstfall perfekt.

Kommunikationsdirektorin Ashley Etienne und Chefsprecherin Symone Sanders haben bereits vor Wochen das Weite gesucht. Auch andere Mitarbeiter haben genug. Harris lese selten vor öffentlichen Terminen die akribisch erstellten Akten ihrer Zuträger, sagen sie, beschwere sich aber im Nachhinein nach leicht verunglückten Auftritten wie zuletzt in mehreren Fernsehinterviews, dass sie nicht sorgfältig von ihrer Crew vorbereitet worden sei.

Dabei sah die Theorie verheißungsvoll aus: Der Oldie Joe Biden zieht nach den trumpschen Chaosjahren die amerikanische Karre aus dem Dreck und geht nach vier Jahren mit 82 in den wohlverdienten Ruhestand. 2024 übernimmt dann die Powerfrau an seiner Seite das Zepter und wird Amerikas erste Präsidentin. So hatten sich demokratische Strategen die Erzählung zurechtgelegt.

Strahlender Aufritt: Kamala Harris bei bei der Siegesfeier im November 2020.
Strahlender Aufritt: Kamala Harris bei bei der Siegesfeier im November 2020. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Adam Schultz/Biden for President

Ein Jahr danach hat die Story Totalschaden erlitten. Joe Biden muss, um nicht ad hoc als Auslaufmodell behandelt zu werden, bei jeder Gelegenheit betonen, dass er 2024 für eine zweite Amtszeit antritt. Dabei sind die Umfragen desaströs. Millionen Amerikaner zweifeln an seinen physischen und mentalen Fähigkeiten. Lesen Sie hier: Joe Bidens Bilanz: Sehr viele ungelöste Versprechen

Joe Biden betraute seine Stellvertreterin mit schwierigen Aufgaben

Bei Harris liegen die Dinge noch ungünstiger. Zuletzt gaben nur noch unter 30 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner der Stellvertreterin erträgliche Noten. So schlecht wurde noch nie ein Vizepräsident im ersten Amtsjahr beurteilt. Die Zahl liegt Harris wie ein Mühlstein um den Hals.

Analysten, Berater und Büchsenspanner im demokratischen Biotop leiten daraus ab, dass Harris ihre Ambitionen auf das Biden-Erbe bereits getrost beerdigen könne. Hauptargument: Ihr fehle der Biss, aus der per Definition undankbaren Vize-Rolle eine solide Plattform für den Sprung ganz nach oben zu machen.

Fans von Harris werfen dagegen dem Präsidenten mangelnde Fürsorgepflichterfüllung vor. Joe Biden habe seiner Mitstreiterin mit hochkomplexen und undankbaren Themen wie illegale Einwanderung und Wahlrechtsreform kurzfristig unlösbare Dossiers mit hoher Fettnäpfchengefahr überantwortet, heißt es da. Als Harris in Mexiko und Gua­temala fast flehentlich-hilflos in Richtung Migrantenszene rief: „Kommt bitte nicht!“, war ihr ätzende Kritik von Demokraten wie Republikanern beschieden.

Zum anderen erlaube der Präsident der im Schlepptau von Barack Obama kometenhaft aufgestiegenen Regionalpolitikerin aus Oakland nicht wirklich, eigenständig zu glänzen und so politisch auf ihr Konto für 2024 einzuzahlen. Das verdüstert den Ausblick: „Wenn Harris nicht endlich ankommt im Amt und dabei Statur gewinnt“, sagte ein demokratischer Kampagnen-Experte aus Washington unserer Redaktion, „kann sie das mit der Nachfolge Bidens wirklich abhaken.“ Auch interessant: USA: Trumps langer Schatten trübt Bidens Präsidentschaft

Weißes Haus dementiert Austausch von Harris

Harris sieht sich einer Durchstecherei nach der anderen ausgesetzt. Zuletzt machte sogar die Spekulation die Runde, Biden könnte sie austauschen. Als Entschädigung würde nach dieser Lesart für Harris ein frei werdender Sessel am Obersten Gerichtshof reserviert; Juristin durch und durch sei sie ja.

Das Weiße Haus schickte den Gerüchten sofort ein Dementi hinterher. Darin beteuert man, dass Harris und Biden „eng und vertrauensvoll“ kooperieren und der Präsident an der Performance seiner Wegbegleiterin nichts auszusetzen habe. Tatsache ist: Im Biden-Tross nehmen viele die öffentlich inzwischen misstrauisch und übervorsichtig auftretende Nummer Zwei nicht mehr als Booster-Shot für Bidens Präsidentschaft wahr, sondern als Bremsbelag.

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