Berlin/Almaty. Im zentralasiatischen Kasachstan eskalieren die regierungskritischen Proteste. Die autoritäre Führung bekommt Beistand aus Moskau.

In Kasachstan sind die seit Tagen anhaltenden Proteste gegen die autoritäre Regierung des zen­tralasiatischen Landes in schwere Gewalt umgeschlagen. Bei Auseinandersetzungen mit Demonstranten kamen nach Angaben des Staatsfernsehens vom Donnerstag mindestens 13 Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben.

Landesweit soll es demnach seit Beginn der Unruhen mehr als 1000 Verletzte gegeben haben. Verlässliche Angaben über Todesopfer unter den Protestierenden lagen nicht vor. Hauptschauplatz der landesweiten Proteste ist die Wirtschaftsmetropole Almaty.

Zentrum der Proteste ist die Stadt Almaty, wo Demonstranten das Gebäude der Stadtverwaltung in Brand steckten.
Zentrum der Proteste ist die Stadt Almaty, wo Demonstranten das Gebäude der Stadtverwaltung in Brand steckten. © ddp/TASS

Die Polizei erklärte, dort bei Zusammenstößen „Dutzende Angreifer eliminiert“ zu haben. Die Bundesregierung schloss das deutsche Generalkonsulat in Almaty und riet von Reisen in die frühere Sowjetrepublik ab. Gewalttätige Ausschreitungen seien kein akzeptables Mittel der politischen Auseinandersetzung, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Und: Der Einsatz tödlicher Gewalt gegen Zivilisten dürfe immer nur allerletztes Mittel sein. Lesen Sie auch: Gewalt in Kasachstan - Russland verlegt erste Truppen

Kasachstan: Was ist passiert?

In Almaty stürmten Demonstranten am Mittwoch öffentliche Einrichtungen, darunter die Präsidentenresidenz und die Stadtverwaltung. Bilder zeigten, wie das Gebäude in Flammen steht. Die Polizei sprach von 2000 Festnahmen allein in Almaty. Mehrere Flughäfen im Land stellten den Betrieb ein, Staatschef Kassym-Schomart Tokajew verhängte den landesweiten Ausnahmezustand.

Damit gelten nächtliche Ausgangssperren, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie ein Versammlungsverbot. Tokajew machte angeblich im Ausland ausgebildete „Terrorgruppen“ für die Proteste verantwortlich. Das Internet wurde abgeschaltet. Am Donnerstag waren in Almaty erneut Schüsse zu hören, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Kasachische Sicherheitskräfte auf den Straßen der Wirtschaftsmetropole Almaty im Einsatz gegen die Massenunruhen.
Kasachische Sicherheitskräfte auf den Straßen der Wirtschaftsmetropole Almaty im Einsatz gegen die Massenunruhen. © dpa | Valery Sharifulin

Die Führung des Landes bat Russland und andere Nachbarstaaten um militärischen Beistand. Die Ereignisse riefen international Besorgnis hervor. „Mit der Abschaltung des Internets, dem Einsatz militärischer Gewalt gegen die eigene Bevölkerung und dem Verweis auf eine angebliche ausländische Bedrohung bedient sich die kasachische Regierung klar diktatorischer Methoden“, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen unserer Redaktion.

Was ist der Auslöser für die Proteste in Kasachstan?

Die Proteste entzündeten sich an einer massiven Steigerung der Treibstoffpreise. Die Gründe für die Unruhen liegen nach Einschätzung des Zentralasien-Experten Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aber tiefer: „Besonders in der jüngeren Bevölkerung gibt es eine tiefe Frustration über die herrschenden Eliten.“

Zwar habe sich der autoritäre Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew 2019 offiziell als Präsident zurückgezogen, de facto sei der 81-Jährige aber der starke Mann geblieben. „Sein Nachfolger Tokajew ist nur ein Platzhalter“, sagte der DGAP-Experte.

„Es hat also nicht den von vielen erhofften Wandel im Land gegeben und die Selbstbereicherung der kasachischen Eliten und der Familie von Nasarbajew ist weitergegangen wie zuvor.“ Das sorge für Unruhe in der Bevölkerung. „Kasachstan ist zudem ein reiches Land mit großen Öl- und Gasvorkommen, während die Löhne der Menschen aber sehr niedrig sind“, fügte Meister hinzu.

Warum ist Kasachstan wichtig?

Die frühere Sowjetrepublik ist flächenmäßig das neuntgrößte Land der Welt, hat aber nur knapp 19 Millionen Einwohner. Das zentralasiatische Land liegt strategisch günstig zwischen Russland im Norden und China im Südosten.

Besondere Bedeutung kommt Kasachstan wegen seiner umfangreichen Gas-, Kohle- und Ölvorkommen zu. Um seine Abhängigkeit von fossilen Energien zu verringern, wirbt Kasachstan seit einigen Jahren aber auch um ausländische Investoren, die in Wind- und Solarkraftparks investieren sollen. Das Land fördert zudem begehrte Metalle und seltene Erden.

Als Reaktion auf die gewaltsamen Unruhen hat die autoritäre Führung in Kasachstan landesweit den Ausnahmezustand verhängt.
Als Reaktion auf die gewaltsamen Unruhen hat die autoritäre Führung in Kasachstan landesweit den Ausnahmezustand verhängt. © AFP | ABDUAZIZ MADYAROV

Wirtschaftlich pflegt Kasachstan enge Verbindungen nach Europa, das Land ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands und der Europäischen Union in Zentralasien. Die Stiftung Wissenschaft und Politik sieht Kasachstan in Energiefragen als den „entscheidenden Ankerpartner“ der EU in der Region. Aber auch China bemüht sich aufgrund des Energiereichtums des Nachbarn um Einfluss.

Die deutsche Wirtschaft rief zu einem Ende der Unruhen auf. „Eine schnelle Beruhigung der Lage ist unabdingbar, um weiteres Blutvergießen, eine Destabilisierung des Landes und damit auch eine Beschädigung des Wirtschafts- und Investitionsstandorts Kasachstan abzuwenden“, erklärte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes. Auch interessant: Nord Stream 2: Nutzt Russland die Gaspipeline zur Spionage?

Kasachstan: Welche Rolle spielt Russland?

Russland betrachtet die früheren Sowjetrepubliken, die wie Kasachstan nach dem Zerfall der UdSSR 1991 unabhängig wurden, als Staaten in seinem Einflussgebiet. Wie zuletzt in Belarus stützt die Regierung in Moskau die ihr getreuen Herrscher in diesen Ländern, um Protest- und Demokratiebewegungen auch in eigenem Interesse zu unterdrücken.

„Russland geht es darum, die alten Eliten in Kasachstan an der Macht zu halten und für Stabilität zu sorgen“, sagte der Außenpolitik-Beobachter Meister. Ein erfolgreicher Volksaufstand bis hin zum Machtwechsel könne schließlich auch auf Russland destabilisierend wirken. Lesen Sie hier: Das ist die Familie des russischen Präsidenten Putin

Staatschef Kassym-Schomart Tokajew (l.) und Kremlchef Wladimir Putin. Der russische Präsident betrachtet Kasachstan als Moskaus Einflussgebiet.
Staatschef Kassym-Schomart Tokajew (l.) und Kremlchef Wladimir Putin. Der russische Präsident betrachtet Kasachstan als Moskaus Einflussgebiet. © dpa | Yevgeny Biyatov

Wie reagiert Russland auf Kasachstan?

Um die autoritäre Regierung in Kasachstan zu unterstützen, hat die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) unter der Führung Russlands nun als „Friedenstruppen“ deklarierte Militäreinheiten in das Land geschickt. Am Donnerstagabend (6.1.) teilte das russische Verteidigungsministerium mit, dass die ersten Einheiten eingetroffen seien. Sie seien auf begrenzte Zeit nach Kasachstan geschickt worden.

Dem 2002 gegründeten Militärbündnis gehören außer Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan an. Die Allianz ist aus einem Bündnis früherer Sowjetstaaten hervorgegangen, die sich 1992 vertraglich Beistand im Falle eines externen Angriffs versichert hatten. In seiner Charta nennt die Organisation den Frieden und die Stabilität in der Region als Ziel.

Zudem setze sich das Bündnis für die Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und Souveränität seiner Mitglieder ein. Experten sehen in der OVKS ein militärisches Instrument Russlands. Die USA warnten Moskau indes vor Menschenrechtsverletzungen in Kasachstan.

Was bedeutet die Entsendung der OVKS-Truppen für die Lage in Kasachstan?

Die Organisation erklärte, die Soldaten sollten nur vorübergehend präsent sein, „um die Lage zu stabilisieren und zu normalisieren“. Ihre Hauptaufgaben seien der Schutz „wichtiger staatlicher und militärischer Einrichtungen und die Unterstützung der Ordnungskräfte bei der Stabilisierung der Lage.

Offen blieb, wie groß das Kontingent ist. Röttgen zeigte sich besorgt: „Ein Eingreifen Russlands könnte die Situation weiter verschärfen.“