Berlin. Die aktuellen Viruswellen führen zu massiven Engpässen in Praxen und Kliniken. Was können Eltern tun, um ärztliche Hilfe zu bekommen?

Kinderärzte am Limit, Eltern in Not: Die aktuellen Viruswellen führen zu massiven Engpässen in Praxen und Kliniken. Was können Eltern jetzt tun, um schnell ärztliche Hilfe zu bekommen? Und wie lange wird die Infektionswelle in diesem Winter dauern?

Die Lage ist bereits jetzt extrem angespannt, in den Kinderarztpraxen herrscht Daueralarm. Überfüllte Wartezimmer, verzweifelte Eltern. Der Grund: Aktuell sind verschiedene Viren im Umlauf, die vor allem auf die Atemwege zielen. Harmlose Erkältungsviren, aber auch Grippe und RS-Viren. Durch die Corona-Pandemie und das Tragen von Masken hätten viele Kinder nicht die Möglichkeit gehabt, ihr Immunsystem zu trainieren, vermuten Experten.

Fieber und Co.: Was tut man, wenn beim Kinderarzt keiner ans Telefon geht?

Kinderarztpraxen schaffen den Ansturm kaum noch. Kinderkliniken müssen Kinder abweisen. „Im Moment ist es eher ein Durchschleusen als eine gute Medizin“, heißt es beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Die Kunst bestehe darin, die wirklich kranken Kinder herauszufiltern.“ Doch was tun, wenn das Kind fiebert und man beim Kinderarzt telefonisch gar nicht mehr durchkommt?

„Eltern sollten immer zunächst selbst einschätzen, ob ein Arztbesuch wirklich akut nötig ist“, sagt Thomas Fischbach, Kinderarzt aus Solingen und Präsident des Berufsverbands. „Mütter und Väter müssen entscheiden lernen, was ein Notfall ist und was keiner ist.“ Obwohl die Praxen aktuell maximal belastet seien, kämen viele Eltern immer noch mit Banalitäten. „Pickel am Popo sind kein Notfall, bei Erkältungssymptomen helfen oft Hausmittel.“

Sprechstunde überfüllt: Ist der Notdienst eine Alternative?

Wenn sich Eltern unsicher seien, bleibe aber auch in der aktuellen Krisenlage der eigene Kinderarzt immer der erste Ansprechpartner. „Wer telefonisch nicht durchkomme, könne auch eine Mail an die Praxis schicken und um eine Einschätzung bitten. Wer niemanden erreiche, müsse zur Not ohne Termin in die Praxis gehen. „Dort wird das Praxispersonal eine Ersteinschätzung machen. Wenn es kein Notfall ist, müssen Eltern damit rechnen, dass sie erst Tage später einen Termin bekommen oder sehr lange warten müssen.“ Aber: „Kein Kollege wird ein erkennbar krankes Kind nicht behandeln“, versichert Fischbach. Wenn es in Ausnahmefällen gar nicht anders gehe, können Eltern zur Not auch ihren eigenen Hausarzt um Rat fragen.

Und wenn am Wochenende oder abends die Praxen geschlossen sind? Außerhalb der Sprechzeiten gibt es die kinderärztlichen Notdienste – doch auch hier sind die Praxen am Limit. „Zum Teil kommen 100 Kinder während eines achtstündigen Dienstes“, so Kinderarzt Fischbach. Die Notaufnahmen der Kliniken sollte man nur im äußersten Notfall ansteuern. Denn: Die Lage in den Kinderkliniken ist mittlerweile vielerorts dramatisch.

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Kinderkliniken: „Wir machen nur noch, was unmittelbar lebenserhaltend ist“

Florian Hoffmann, Kindermediziner aus München und Generalsekretär der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), erlebt es täglich selbst: „Überlastete Kinderkliniken suchen jetzt schon in einem Radius von mehr als hundert Kilometern nach freien Betten in anderen Städten. Manche Kinder bleiben bereits jetzt zwei Tage in der Notaufnahme, weil es keine freien Betten gibt.“

Viele Kinderkliniken würden bereits alle Eingriffe verschieben, die nicht akut lebensnotwendig seien. Zum Beispiel Magen-Darm-Spiegelungen. „Wir haben aber auch schon Fälle gehabt, wo wir ein Kind, dem wir Lungenmetastasen entnehmen wollten, absagen mussten, weil es kein freies Bett gab“, so Hoffmann. Seine bittere Bilanz: „Wir machen nur noch, was unmittelbar lebenserhaltend ist.

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Notaufnahme: Kranke Kinder warten zum Teil mehr als zwölf Stunden

Hoffmanns dringender Appell an Familien mit kranken Kindern: Eltern sollten mit kranken Kindern in der Regel immer erst zum Kinderarzt gehen. Die Notaufnahme der Kinderkliniken sollte nur im absoluten Notfall, etwa bei akuter Atemnot, angesteuert werden. „In der Notaufnahme vieler Kinderkliniken warten Kinder ohne lebensbedrohliche Symptome inzwischen häufig mehr als acht bis zwölf Stunden.“

Die niedergelassenen Kinderärzte müssten jetzt dabei helfen, die Kliniken zu entlasten. „Um alle akut kranken Kinder versorgen zu können, müssen die Praxen jetzt temporär Behandlungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen verschieben oder im Notfall auch die Sprechzeiten verlängern“, fordert Hoffmann.

Infektionswelle: Experten rechnen mit weiterer Verschärfung

Die Lage dürfte sich nach Ansicht der Experten noch verschärfen: „Die aktuelle Infektionswelle wird noch massiv ansteigen“, erwartet Kinderärzte-Präsident Fischbach. „Es fängt jetzt gerade erst richtig an, der Scheitelpunkt ist noch längst nicht erreicht.“ RSV und Influenza hätten dieses Jahr viel eher angefangen als in früheren Jahren. „Wir werden von beiden Seiten in die Zange genommen. Ich befürchte, dass die Lage in den Kinderarztpraxen noch schwieriger wird.“ Auch Hoffmann warnt: „Die Lage in Praxen und Kliniken wird in den kommenden Wochen noch schlimmer werden. Wir werden nicht mehr alle Kinder ausreichend behandeln können.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.