Berlin. Das Familienministerium legt Eckpunkte für die Kindergrundsicherung vor und sagt, wie viel Geld jedes Kind in Zukunft bekommen soll.

In der Theorie kann man durchzählen: Eins, zwei, drei, vier Kinder in Deutschland leben in Haushalten mit ausreichend Einkommen. Kind Nummer fünf lebt in Armut. Rund 20 Prozent der unter 18-Jährigen in Deutschland sind nach Regierungsangaben von Armut bedroht, in vielen Stadtteilen oder Kommunen ist der Anteil noch höher, in Bremen etwa oder in Berlin. Was abstrakt klingt, hat konkrete Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Wer in Armut aufwächst, hat schlechtere Bildungschancen, weniger Möglichkeiten für soziale Teilhabe und mehr gesundheitliche Risiken.

Der Kampf gegen Kinderarmut ist deshalb eines der ganz dicken Bretter, dass die Ampel-Koalition in dieser Legislaturperiode bohren will. Das zentrale Instrument dabei: Die Kindergrundsicherung. Das Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) hat in dieser Woche im Rahmen der Ressortabstimmung erstmals Eckpunkte für ihre Pläne vorgelegt. Zuerst berichtete darüber die „Wirtschaftswoche“.

Nach dem Konzept, das eine Arbeitsgruppe mehrerer Bundesministerien im vergangenen Jahr erarbeitet hat, soll sich die Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten zusammensetzen: Einem sogenannten Garantiebetrag, den alle Kinder erhalten, und einem Zusatzbetrag, der abhängig sein soll vom Einkommen der Eltern.

Kindergrundsicherung: Ein Garantiebetrag für alle, ein Zusatzbetrag für manche

Die Höhe des Garantiebetrags soll anfangs mindestens dem Kindergeld entsprechen, „perspektivisch“ aber „der maximalen Entlastungswirkung des steuerlichen Kinderfreibetrags“. Die liegt momentan laut Familienministerium bei 354 Euro im Monat. Sind die Kinder 18 und ziehen aus, soll das Geld direkt an sie gehen und auch als „Grundsockel“ zur Finanzierung von Studium und Ausbildung dienen. Der Zusatzbetrag soll abhängig vom Einkommen der Eltern gestaffelt werden und abschmelzen, wenn dieses Einkommen steigt. Damit sich mehr Arbeit lohnt, soll der Betrag aber langsamer verringert werden, als das Einkommen steigt.

Zusammengenommen sollen die Leistungen der neuen Kindergrundsicherung nach den Plänen höher sein als die aktuellen einzelnen Leistungen, die für Familien zur Verfügung stehen.

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, will einen Systemwechsel im Kampf gegen Kinderarmut.
Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, will einen Systemwechsel im Kampf gegen Kinderarmut. © dpa | Kay Nietfeld

Derzeit gibt es neben dem Kindergeld je nach finanzieller Situation mehrere weitere Unterstützungsleistungen des Staates. Gut situierte Familien profitieren vor allem von Kinderfreibeträgen im Steuerrecht.

Familien mit kleinen Einkommen können unter Umständen einen Kinderzuschlag bekommen, der bei bis zu 250 Euro pro Monat und Kind liegt. Zudem gibt es das sogenannte Teilhabepaket, über das etwa Kosten für Schulausflüge, Musikunterricht oder Mitgliedschaften im Sportverein abgedeckt werden können. Doch viele, die auf den Zuschlag oder auch Geld aus dem Teilhabepaket Anspruch hätten, rufen die Unterstützung nicht ab, etwa weil die Antragsverfahren zu kompliziert sind oder Familien nicht klar ist, dass sie Anspruch hätten.

Wer Anspruch hat, soll darüber vom Staat informiert werden

Die Kindergrundsicherung soll daher auch einfacher sein als das bisherige System. Die Prüfung, ob Anspruch besteht auf den Zusatzbetrag, der die bisherigen Leistungen ersetzen soll, müssten in dem neuen System nicht mehr Familien aktiv anstoßen. Stattdessen soll das, nach den Vorstellungen des Familienministeriums, der Staat selbst übernehmen, über einen regelmäßigen und automatisierten „Kindergrundsicherungs-Check“ auf Basis von Steuerdaten. Eine Bringschuld des Staates anstelle einer Holschuld der Bürger, so die Idee.

Familien, die Anspruch auf den Zusatzbetrag haben, sollen darüber dann informiert werden und das Geld über ein Online-Portal beantragen können.

Lisa Paus: „Wirklicher Paradigmenwechsel“

Familienministerin Paus sprach im Interview mit dieser Redaktion von einem „wirklichen Paradigmenwechsel“. Die Kindergrundsicherung sei „das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Bundesregierung“, erklärte die Grünen-Politikerin. Es ist allerdings auch eines der kompliziertesten: Allein sieben Ministerien sind beteiligt an der Arbeitsgruppe zum Thema, sechs Facharbeitsgruppen beschäftigen sich mit dem Komplex. Viele Fragen sind noch offen – unter anderem die, wie viel das Großprojekt am Ende kosten wird. Die „Wirtschaftswoche“ berichtet von Schätzungen, die von acht bis zehn Milliarden Euro ausgehen.

Ein Bündnis von Gewerkschaften, Kinderschutz- und Sozialverbänden begrüßte die Vorschläge am Donnerstag. Damit gebe es eine „Chance auf einen Systemwechsel bei den Familienleistungen“, sagte Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbunds. Jetzt komme es darauf an, die Höhe der Leistungen so zu bemessen, dass sie Kinderarmut tatsächlich verhindere. Er fordere die Bundesregierung deshalb auf, den Kindern das zuzugestehen, „was sie wirklich brauchen“, sagte Hilgers. „Mit Politik nach Kassenlage muss in dieser Frage Schluss sein.“

Kindergrundsicherung: Fließen soll das Geld ab 2025

Der Kinderschutzbund, aber auch andere Sozialverbände wie etwa der VdK oder das Kinderhilfswerk, sind Teil des „Bündnis Kindergrundsicherung“, das seit Jahren für die Einführung eines solchen Modells wirbt. Vdk-Präsidentin Verena Bentele sprach mit Blick auf die Eckpunkte von einem „guten Schritt“: „Der Staat wird endlich in die Pflicht genommen, anspruchsberechtigte Familien direkt auf ihre Ansprüche hinzuweisen und die Beantragung zu automatisieren“, sagte sie.

Bis der mögliche Systemwechsel bei den Familien ankommt, wird es aber wohl noch dauern. Der Gesetzgebungsprozess soll noch in diesem Jahr eingeleitet werden. Ausgezahlt werden soll die Kindergrundsicherung nach dem aktuellen Zeitplan zum ersten Mal 2025. (mit dpa)