Erfurt. In Thüringen sind nur Linke, CDU und AfD bei der Wahl über 20 Prozent gelandet. CDU-Vize Strobl schließt eine CDU-Links-Koalition aus.

Fragt man dieser Tage in der Thüringer CDU herum, wie sich die Partei verhalten sollte, dann lautet die häufigste Antwort: „Ich weiß es nicht.“ Die Ratlosigkeit ist umfassend. Das hat zum einen mit dem komplizierten Landtagswahlergebnis vom Oktober vorigen Jahres zu tun.

Aber es liegt auch an der gescheiterten Strategie der einst in Thüringen allmächtigen Union und deren Landeschef Mike Mohring, der seit der verlorenen Abstimmung einen erratisch wirkenden Schlingerkurs fuhr.

Neue Situation für Deutschland: Nur drei Parteien über 20 Prozent

Allerdings ist die Situation in Thüringen auch völlig neu für Deutschland. Denn nur hier sind drei Parteien – Linke, CDU und AfD – bei einer Wahl bei über 20 Prozent gelandet. Vor allem aber: Es sind drei Parteien, die nicht miteinander kooperieren wollen.

Oder präziser formuliert: Bisher nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die bisherige rot-rot-grüne Koalition ihre knappe Mehrheit verloren hat und die FDP, die gerade so ins Parlament rutschte, ihr nicht zu Mehrheit verhelfen will.

Auf der anderen Seite reicht es auch nicht für eine von der CDU geführte, sogenannte Simbabwe-Koalition mit SPD, Grünen und FDP, zumal Sozialdemokraten und Grüne darauf sowieso keine Lust haben. Bleibt also Rot-Rot-Grün in der Minderheitsvariante.

Der Regierungsvertrag der drei Parteien soll kommende Woche stehen. Nach der Zustimmung von Parteitagen und Parteibasis will sich der geschäftsführende Ministerpräsident Bodo Ramelow im Februar der Wiederwahl im Landtag stellen.

Oder kommt es doch anders?

Nachdem Altbundespräsident Joachim Gauck am Sonntag per ZDF-Interview die Thüringer CDU nochmals dringend ermahnte, das Gespräch mit der Linken zu suchen, meldete sich plötzlich Dieter Althaus. Der frühere Ministerpräsident, der das Land zwischen 2003 und 2009 mit absoluter Unionsmehrheit regierte, arbeitet als Lobbyist des Autozulieferkonzerns Magna und hatte sich in der vergangenen Dekade fast nie zu Wort gemeldet.

Umso erstaunlicher war das, was er nun der „Thüringer Allgemeinen“ sagte: Die CDU sollte mit der Linken über eine „Projektregierung“ verhandeln. Das heißt, die beiden Parteien könnten im Landtag gemeinsame Projekte der Zusammenarbeit definieren, die dann von einer Art Expertenregierung ausgeführt würden. Genaueres teilte Althaus nicht mit – aber das musste er auch nicht.

Initiative kam offensichtlich nicht überraschend

Ziel der Initiative, in die nach Informationen dieser Zeitung neben Mohring auch Ramelow teilweise eingebunden war, ist es offenkundig, Union und Linke in der verfahrenen Lage etwas mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen.

Zumindest das ist geschafft. Mohring begrüßte den Vorstoß. Für ihn ist dies die letzte Chance, noch einmal vor der Ministerpräsidentenwahl aus der Defensive zu kommen. Seine Landespartei scheint in drei Lager gespalten: Ein kleinerer Teil will mit der Linken reden und ein etwas größerer Teil mit der AfD verhandeln, derweil die Mehrheit beides ablehnt.

CDU-Vize Strobl nennt Linke „extreme Partei“

Vor weiteren Gesprächen über die Regierungsbildung in Thüringen hat der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Thomas Strobl seine Partei eindringlich vor jeglicher Zusammenarbeit mit der Linken gewarnt. „Mit den extremen Parteien, mit der Linken und mit der AfD, kann die CDU keine Koalition und auch keine auch nur ähnliche Zusammenarbeit eingehen“, sagte der baden-württembergische Innenminister unserer Redaktion.

Ausdrücklich erinnerte Strobl an einen entsprechenden Beschluss des Hamburger CDU-Parteitags Ende 2018.

„Werteunion“ drängt Mohring

Darüber hinaus drängt nicht nur die „Werteunion“ darauf, dass Mohring das tut, was er ausgeschlossen hat: nämlich gegen Ramelow bei der Wahl im Landtag antreten. Dass er dabei nur mit AfD-Stimmen gewinnen kann, soll egal sei. Das sei „schnurz“, dekretierte der Ex-Bundesverfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, der selbst mit einer Bewerbung kokettiert, am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Thüringen. Aber das ist nicht mehrheitsfähig in der Thüringer Union. Dann doch lieber unverbindlich mit Ramelow reden.

Sowieso klingt das, was Althaus vorschlug, ungefähr wie das, was der CDU-Landeschef kurz nach dem Wahlabend am 27. Oktober in seiner Partei durchsetzen wollte, aber gründlich scheiterte. Sowohl im Berliner Bundespräsidium als auch Erfurter Landesvorstand lief er mit Idee, mit Ramelow über eine gemeinsame Regierung zu verhandeln, frontal auf. Er hatte viel zu schnell gehandelt und dabei sich nicht abgestimmt.

Ramelow kommen die Gespräche gerade Recht

Die Folgen: Die CDU-Landesspitze schloss einstimmig jede Zusammenarbeit mit der Linke aus, derweil Mohrings Fraktionsvize Michael Heym Gespräche mit der AfD verlangte und damit einen bundesweiten Eklat produzierte.

Auch der geschäftsführende Ministerpräsident wirkt erleichtert über die Wende der Kehrtwende. Klar werde er mit der CDU reden, sagte Ramelow dieser Zeitung – ob nun unter Vermittlung von Gauck, wie Althaus vorschlug, oder ohne den Bundespräsidenten. Sein wahrscheinliches Kalkül: Indem er mit der Union redet, kann er seine Partner SPD und Grüne disziplinieren.

Außerdem wird er ja nun mal als später als Chef einer Minderheitsregierung auf die Union angewiesen sein. Denn an einer rot-rot-grünen Koalition, das sagen auch CDU-Landtagsabgeordnete wie Thadäus König, führt wohl kein Weg mehr vorbei.

Bislang herrscht Ratlosigkeit

Ramelows Linke steht bei SPD und Grünen im Wort, die Verhandlungen sind bald abgeschlossen. Und dennoch, in Thüringen ist traditionell vieles möglich. Wird im Land er ersten rot-rot-grünen Koalition und des einzigen linken Ministerpräsidenten wieder Geschichte geschrieben? Kommt es zum „Thüringer Modell?“ Landes- und Fraktionschef Mohring ist noch im Urlaub und meldet sich nur mit Mitteilungen zu Wort.

Auch die meisten Landtagsabgeordneten haben in diesem Jahr noch nicht mit ihm geredet. Generalsekretär Raymond Walk redet eher allgemein davon, „dass wir als CDU immer konstruktiv sein müssen“. Denkbar seien „verschiedene Möglichkeiten“, von der „Projektregierung“ mit der Linken bis zu einer „projektbezogenen Zusammenarbeit“ mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung.

Was im Bund dazu gesagt werde, sei nicht so wichtig, denn: „Berlin ist weit.“Am Montag könnte es etwas mehr Klarheit geben. Dann treffen sich erstmals die Spitzen von Linke, SPD und Grünen mit den Chefs von CDU und FDP – und damit auch Ramelow und Mohring. Mindestens bis dahin dürfte die Ratlosigkeit anhalten.