Berlin. Die Koalition hat ein gigantisches Konjunkturpaket geliefert – und macht vieles richtig. Doch sie muss bei der Rechnung ehrlich sein.

Nach 21 Stunden, verteilt auf zwei Tage, stieg endlich weißer Rauch über dem Kanzleramt auf. Kein neuer Papst wurde gekürt, sondern das größte Konjunkturpaket der Nachkriegszeit geschnürt. 130 Milliarden Euro in diesem und nächstem Jahr. Das ist eine Ansage.

Auf die Dax-Rallye darf man gespannt sein. Die Koalition holt zum zweiten Mal seit Ausbruch der Corona-Pandemie die Bazooka heraus. Die Regierung feuert Geld aus allen Rohren, in der Hoffnung, Deutschland vor einer langen und tiefen Rezession zu bewahren.

Corona-Hilfen vom Bund: Nichtstun ist keine Alternative

Nichtstun ist keine Alternative. In der Krise sind alle Keynesianer. Die bis Jahresende befristete Mehrwertsteuersenkung kann ein mächtiger Impuls sein, damit alle Verbraucher, unabhängig vom Geldbeutel, parallel zu den Lockerungen im öffentlichen Leben wieder Lust am Konsum bekommen. Soweit die Theorie. Zieht es über sieben Millionen Kurzarbeiter mit Angst um den Job wirklich in die Shoppingmeilen? Wird der Handel die reduzierten Umsatzsteuerbeträge fair in Preissenkungen stecken? So könnte die 20-Milliarden-Steuersenkung womöglich eher in Unternehmenskassen und weniger in den Taschen der Deutschen landen.

Dazu gibt es den Familienbonus von 300 Euro pro Kind, Steuererleichterungen für Alleinerziehende, zusätzliche Milliarden für Schulen und Kitas. Damit bekommt das Paket eine wichtige soziale Note.

Keine Abwrackprämie für Diesel und Benziner – das verdient Applaus

Chefreporter Tim Braune kommentiert.
Chefreporter Tim Braune kommentiert.

Applaus hat die Koalition auch dafür verdient, dass sie dem mächtigen Druck der Autolobby bei einer Abwrackprämie reloaded nicht nachgegeben hat. Union und SPD haben aus ihren Fehlern beim Klimapaket gelernt.

Im vergangenen September brachten sie viele sinnvolle Maßnahmen auf den Weg, damit Deutschland seine Pariser Klimaschutzziele doch noch einhalten kann. Das Gesamtpaket machte sich die Regierung mit einem lächerlich niedrigen Einstiegspreis von 10 Euro je Tonne CO2 kaputt. Von Klimaschützern bezogen Merkel, Scholz & Co. zu Recht Prügel. Ein paar Monate später wurde der CO2-Preis kleinlaut auf 25 Euro angehoben.

Regierung widersteht dem Druck der Autolobby

Hätte es jetzt – wie 2008/09 nach der Bankenkrise – eine massive Förderung für den Kauf von Dieseln und Benzinern gegeben, wäre das ein Makel gewesen. Steuerzahlergeld, während sich die Piechs, Porsches und Quandts satte Dividenden gönnen?

Die Koalition hat hier im richtigen Moment auf Vernunft statt auf Autopilot geschaltet. So muss sich die über viele Jahre von der Politik verhätschelte Autoindustrie damit begnügen, dass die E-Auto-Prämie auf 6000 Euro verdoppelt wird. Daneben soll es auch Kaufanreize für die Umrüstung von Lastwagen geben. Das freut die Nutzfahrzeughersteller Volkswagen und Daimler, BMW guckt hier in den Auspuff. Mutig vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder.

Aktivisten vor dem Bundeskanzleramt. Sie demonstrierten gegen eine mögliche Abwrackprämie und für das Klima.
Aktivisten vor dem Bundeskanzleramt. Sie demonstrierten gegen eine mögliche Abwrackprämie und für das Klima. © dpa | Kay Nietfeld

Olaf Scholz hat geliefert – trotz Teil-Niederlage

Ebenso markant wie der Auftritt des CSU-Chefs am späten Mittwochabend war die Präsenz des Finanzministers auf der Bühne des Kanzleramtes. „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen“, sagte Olaf Scholz. Er hat geliefert.

Bei seinem Prestige-Projekt, einem Altschuldenfonds für klamme Kommunen, musste er eine schmerzhafte Teil-Niederlage akzeptieren. Der Bund greift den Kommunen zwar mit vielen Milliarden bei Sozialkosten und Gewerbesteuerausfällen unter die Arme. Die Union wollte jedoch verhindern, dass Scholz und die SPD vor der wichtigen NRW-Kommunalwahl 2020 mit einem riesigen Schuldenerlass auf Stimmenfang gehen können.

Corona hat die zerrüttete Groko nochmal aufblühen lassen

Bleibt jetzt noch eine zweite Covid-Welle aus, dürften die Bürger – trotz aller Härten und zeitweise ausgesetzten Bürgerrechte – unter dem Strich mit der Koalition zufrieden sein. Die klugen, ausgewogenen Konjunkturmaßnahmen überdecken aber nicht, dass CDU, CSU und SPD sich auf das Endstadium ihrer politischen „Zwangsehe“ zu bewegen.

Corona hat das zerrüttete Groko-Paar noch einmal aufblühen lassen. Nach der Bundestagswahl wird man getrennte Wege gehen und sich nach neuen Partnern umsehen. Die Union stellt sich auf die Grünen ein. Der SPD würde eine Therapie in der Opposition gut tun. Zu früh sollten sich CDU und CSU nicht freuen. Keiner weiß, wie groß der Anteil von Angela Merkel am 40-Prozent-Hype der Union ist.

Spektakuläre Greenpeace-Aktion am Reichstagsgebäude

weitere Videos

    Söder und Scholz: Lautet so das Kanzlerduell 2021?

    Deshalb wollte jede Partei jetzt im Konjunkturpaket so viele Akzente wie möglich setzen, um im heraufziehenden Wahlkampf zu glänzen. Zwei Männer profilieren sich in der Krise immer stärker als Macher und Antreiber ihrer Parteien. Söder und Scholz. Lautet so das Kanzlerduell? Offen.

    Söder müsste die CDU für sich gewinnen. In der SPD müsste sich die linke Doppelspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dazu durchringen, jenen kraftstrotzenden Vizekanzler auszurufen, den sie erst vor ein paar Monaten im Kampf um die SPD-Führung besiegt hatten.

    Corona-Krise: Union und SPD müssen bei der Rechnung ehrlich sein

    Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht ausgestanden. Union und SPD haben in der Krise vieles richtig gemacht. Sie dürfen aber nicht nur Geld ausgeben, sondern müssen auch bei der Rechnung ehrlich sein. Mit lauen Versprechen, Europas Musterschüler könne das schon stemmen, sollte sich niemand abspeisen lassen. Corona wird teuer. Sehr teuer. Vor der Wahl im Herbst 2021 muss es Klarheit über die Kosten geben - und wer dafür zahlen muss.

    Wird das Konjunkturpaket Feuerwerk oder Strohfeuer? Die Entscheidung fällt in den kommenden Monaten an den Ladenkassen. Dort wird sich zeigen, ob sich die verunsicherten Bürger von der Koalition aus der Reserve locken lassen.

    Corona-Krise – Mehr zum Thema