London. Die neue britische Premierministerin hat ihr Kabinett zusammengestellt. Das ist überraschend divers – hat aber eine Schwachstelle.

Mit lautem Applaus wurde Liz Truss begrüßt, als sie kurz vor zwölf Uhr die Kammer betrat und sich den Weg zu ihrem Sitz auf den grünen Bänken bahnte. An diesem Mittwoch hatte die frisch gebackene Premierministerin ihren ersten Auftritt im Unterhaus, und er begann gleich mit Prime Minister’s Questions. Bei dieser wöchentlichen Fragestunde müssen sich die Regierungschefs den rhetorischen Angriffen der Opposition erwehren und – im besten Fall – eine gewisse Flinkheit an den Tag legen.

Das war noch nie Truss‘ Stärke, aber sie dürfte zufrieden sein. Sie trat überzeugender auf als es viele erwartet hatten. Es gab manche heiteren Momente, etwa als ihre Vorgängerin Theresa May fragte, warum eigentlich alle drei weiblichen Premierminister, die Großbritannien bislang hatte, Tories sind. „Ja, und warum kommen eigentlich alle Labour-Vorsitzenden aus Nord-London?“ doppelte Truss nach, sehr zur Freude ihrer Parteikollegen, die in schallendes Gelächter ausfielen.

Abgesehen davon ging es gleich ans Eingemachte. Alles drehte sich um die Krise der astronomischen Energiepreise. Truss hat durchblicken lassen, dass sie bald ein dickes Rettungspaket vorstellen wird – aber die Frage ist, wie sie dafür bezahlen wird. „Wird die Regierung den Energiekonzernen eine Zufallsgewinnsteuer auferlegen?“ wollte Oppositionschef Keir Starmer wissen.

Konservative Partei hat Frauen und Migranten gezielt gefördert

Truss sagte klipp und klar: „Nein, das werde ich nicht.“ Sie bevorzuge Steuersenkungen, um Investitionen anzulocken und so die Wirtschaft anzukurbeln. Den detaillierten Plan wird sie erst an diesem Donnerstag präsentieren.

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Wenige Stunden zuvor hatte Truss ihre erste Kabinettssitzung geleitet. Ihr Kabinett ist überaus divers: Keines der vier großen Staatsämter – Premier- sowie Finanz-, Innen- und Außenministerium – wird von einem weißen Mann besetzt. So etwas hat es in Großbritannien noch nie gegeben. Es zeigt, wie sehr die konservative Partei die Förderung von Frauen und Vertretern ethnischer Minderheiten priorisiert hat.

Außenminister James Cleverly ist ein entschiedener EU-Skeptiker.
Außenminister James Cleverly ist ein entschiedener EU-Skeptiker. © AFP | Isabel Infantes

In politischer Hinsicht ist das Kabinett jedoch sehr einheitlich: Praktisch alle zählen zum rechten Flügel der Tory-Partei. Sie befürworten eine deregulierte Wirtschaft, in sozialen Fragen sind sie konservativ, und setzen sich für einen harten Brexit ein. Finanzminister Kwasi Kwarteng ist seit vielen Jahren ein libertärer Weggenosse von Liz Truss, wie seine Chefin schwebt ihm ein Großbritannien als Tiefsteuer-Insel vor.

Innenministerin Suella Braverman vertritt eine noch härtere Politik als ihre Vorgängerin Priti Patel. Sie hat besonders irreguläre Migranten im Visier, sowie Aktivisten und Protestierende. Um ihre Ziele zu erreichen, will sie sogar aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte austreten.

Außenminister James Cleverly, ein entschiedener EU-Skeptiker, ist formal verantwortlich für die Brexit-Politik – allerdings sagen Insider, dass Truss ihren langjährigen Vertrauten in dieses Amt hob, um selbst die Kontrolle über die Beziehungen zur EU zu behalten. Eine Entspannung im Verhältnis zu Brüssel ist nicht zu erwarten.

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Ihr Kabinett mit Loyalisten zu besetzen, birgt jedoch Gefahren für Truss. Insbesondere hat sie den Anhängern ihres Rivalen Rishi Sunak die kalte Schulter gezeigt – die meisten Tory-Abgeordneten hätten Sunak als Premierminister bevorzugt.