Berlin. Der Ausbau von Deutschlands Verkehrsadern und der Klimaschutz sind schon lange Streitpunkte in der Ampel. Nun haben die Koalitionsspitzen versucht, den Knoten zu durchschlagen.

Die Ampel ringt weiter um Autobahn-Neubau und Klimaschutz. Nach mehr als drei Stunden beendeten die Koalitionsspitzen ihre Beratungen über eine mögliche Beschleunigung von Planungsverfahren im Verkehr ohne Ergebnis. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Koalitionskreisen. Es seien jedoch „konstruktive Gespräche gewesen“, hieß es am Donnerstagabend in Berlin. In den kommenden Wochen werde weiter verhandelt.

Die Vorsitzenden der Ampel-Parteien und -Fraktionen waren am späten Nachmittag mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt zusammengekommen. Neben einem schnelleren Bau von Straßen und Brücken sollte es auch um deutlich mehr Geld für die Sanierung des maroden Bahnnetzes gehen. Die Ampel sucht außerdem seit Monaten vergeblich nach einer Lösung, wie ein im Koalitionsvertrag angekündigtes Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg gebracht werden kann. Darin will die Bundesregierung festlegen, wie sie die deutschen Klimaziele erreichen will. Insbesondere im Verkehr klafft hier eine große Lücke.

Umstritten sind auch Pläne von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zum Biosprit: Sie will bis zum Jahr 2030 einen schrittweisen Verzicht auf Biokraftstoffe, die aus Pflanzen für Nahrungsmittel und Tierfutter gewonnen werden. Eine Senkung der sehr hohen Nachfrage nach Agrargütern aus der Biokraftstoffproduktion könne signifikant zur Entlastung der angespannten Marktlage bei Lebensmitteln beitragen, heißt es in einem Gesetzentwurf.

Gesamtpaket geplant

Nach dem Koalitionsausschuss war davon die Rede, dass an einem Gesamtpaket gearbeitet werde. Bereits im Vorfeld galt als eine mögliche Kompromisslinie bei schnelleren Planungsverfahren für Autobahnen: Die Koalition könnte sich auf einige ausgewählte, dringliche Projekte verständigen.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) will, dass künftig der Bau von Bahnstrecken, aber auch der Bau von Autobahnen, für die ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegt. Das soll Genehmigungsverfahren beschleunigen und Gerichtsverfahren erleichtern.

Ein überragendes öffentliches Interesse gilt bereits für den Bau von Windrädern und Solaranlagen. Im politischen Berlin ist in diesen Tagen oft von mehr „LNG-Tempo“ die Rede: Neue Terminals für Flüssigerdgas (LNG) im Norden waren in weniger als einem Jahr gebaut worden, Grund dafür war auch ein Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung.

„LNG-Tempo“ für Autobahnen?

Wissing will wesentliche Elemente des LNG-Beschleunigungsgesetzes aufgreifen, wie es in einem Gesetzentwurf des Ministeriums heißt. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur sei für die Wirtschaftskraft und damit verbunden für Wachstum und Wohlstand von grundsätzlicher Bedeutung. Im Ministerium heißt es, der Straßenverkehr werde laut Prognosen zunehmen, Staus sollen verringert werden. Dabei geht es dem Minister vor allem um Nadelöhre im Netz.

Wissing hatte am Donnerstag im RTL/ntv-„Frühstart“ gesagt, es gehe nicht um die Frage, ob man Straßen baue: „Es geht um die Frage, ob wir sie im Schneckentempo bauen oder ob wir sie schnell bauen. Ganz klar ist: Es werden nur die Straßen gebaut, die wir brauchen.“ Über die Straße würden zehnmal so viele Güter transportiert wie über die Schiene. „Wer also keine Straßen mehr möchte, der möchte Rückbau unserer Industriegesellschaft.“ Wissing betonte aber auch, mehr Geld in die Schiene investieren zu wollen. Er sprach von „einigen Milliarden“ Euro.

Lemke hatte deutlich gemacht, der Erhalt von Biotopen und Ökosystemen dürfe nicht zurücktreten gegenüber dem Straßenbau. Mit neuen Autobahnen erreiche man nicht die Klimaziele, das Gegenteil sei der Fall. Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir brauchen dringend noch mehr Beschleunigung beim Klimaschutz - nicht bei Autobahnen.“ Es brauche Geld und Personal für Projekte, die das Klima schützten. „Und nicht für Vorhaben, die dem Klima schaden. Autobahnen zu bauen zerschneidet Natur, frisst Ressourcen und schadet dem Klima, weil neue und breitere Autobahnen immer zu mehr Verkehr führen.“

Verkehrssektor weit von Klimazielen entfernt

Grünen-Chefin Ricarda Lang monierte, der Verkehrssektor sei weit von den Klimazielen entfernt. „Statt über weitere klimaschädliche Maßnahmen, etwa die Beschleunigung von Autobahnneubauten zu spekulieren, braucht es jetzt dringend einen Plan, wie der Verkehr seine Klimaziele erreicht“, forderte Lang in der „Süddeutschen Zeitung“ in Richtung Wissing.

Die FDP wies Kritik an Wissing zurück. „Wenn die Grünen ihre Warnrufe nach mehr Klimaschutz ernst meinen, dann müssen sie sich einer etwas längeren Nutzung der Kernenergie öffnen“, hieß es am Donnerstag aus der Parteiführung. „Ansonsten ist es nur ideologische Politik gegen das Auto, das schließlich auch klimaneutral gefahren werden kann.“

Das Thema Atomkraft ist strittig insbesondere zwischen Grünen und FDP. Kanzler Scholz hatte in einem Machtwort entschieden, dass die drei letzten verbliebenen deutschen Atomkraftwerke nicht wie geplant zum vergangenen Jahreswechsel vom Netz gehen, sondern noch bis Mitte April weiterlaufen - dann soll aber endgültig Schluss sein.

Umweltverbände warnten bei schnelleren Planungsverfahren von Straßen vor einer Aushöhlung des Umweltschutzes. Der Präsident des Naturschutzbunds Nabu, Jörg-Andreas Krüger, sagte der dpa: „Es darf keine carte blanche für einen schnelleren Neubau von Autobahnen geben.“ Der Nabu erwarte von den Grünen einen Fokus auf Klimaschutz und Biodiversität. „Alles andere wäre eine massive Enttäuschung und eine Neujustierung der Grünen-Politik.“ BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock sagte: „Mit dem absurden Vorschlag, den Neu- und Ausbau von Autobahnen zu beschleunigen und ihn zum überragenden öffentlichen Interesse zu erklären, startet die FDP einen weiteren Großangriff auf den Klimaschutz.“