Berlin. Die ansteckendere Virus-Variante aus Großbritannien schiebt eine dritte Corona-Welle durch Deutschland. Gleichzeitig nehmen Bund und Länder Kurs auf Öffnungen - denn gegen die Pandemie soll nicht mehr nur der Lockdown helfen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht eine dritte Coronawelle durch Deutschland rollen und will deshalb nur behutsam aus dem Lockdown.

Es gebe drei Stränge, bei denen man Schritt für Schritt öffnen wolle, sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern in einer Online-Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zugleich soll die Impfreihenfolge geändert werden, um die teilweise Öffnung von Kitas und Schulen besser abzusichern: Beschäftigte in Kitas, Kindertagespflege sowie Grund- und Förderschulen sollen bereits von diesem Mittwoch eine Impfung erhalten können.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: "Das gibt in einem Umfeld, in dem Abstand & Maske nicht immer möglich sind, zusätzliche Sicherheit." Dazu soll eine geänderte Impfverordnung im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. In zehn Bundesländern sind Grundschulen und Kitas seit Montag wieder geöffnet.

Für diese Impfungen kommen voraussichtlich zunächst Hunderttausende Impfdosen des Herstellers Astrazeneca in Frage, die bisher ungenutzt lagern. Dem Ministerium zufolge wurden mehr als 1,4 Millionen Dosen geliefert - nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden aber nur 212.000 Dosen gespritzt. Am Samstag sollen mehr als 650.000 weitere Dosen des Astrazeneca-Stoffes an die Länder gehen. Zuletzt hatte es Berichte gegeben, dass sich Pflegekräfte wegen der etwas geringeren Wirksamkeit damit nicht spritzen lassen wollen.

INFEKTIONSLAGE:

Merkel sagte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, die Tatsache, dass es eine dritte Corona-Welle gebe, könne nicht wegdefiniert werden. Man müsse mit der Mutation des Virus leben. Der Anteil der ansteckenderen britischen Virusmutation ist nach Angaben des Verbands Akkreditierter Labore in der Medizin auf rund 30 Prozent gewachsen, wie der Verband auf Basis von Stichproben mitteilte. Binnen eines Tages gab es 3883 Corona-Neuinfektionen, binnen sieben Tagen 60,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Die Zahl der Toten stieg um 415 auf 68.318.

ÖFFNUNGSPERSPEKTIVEN UND VERSCHÄRFUNGEN:

Merkel nannte als Öffnungsstränge die persönlichen Kontaktbeschränkungen sowie Bildung und Wirtschaft. Die Schritte sollten klug mit den erweiterten Testmöglichkeiten zusammengebracht werden. CDU-Chef Armin Laschet sagte in der Fraktionssitzung, nachdem sich die britische Variante ausbreite, sei Vorsicht das Richtige. Trotzdem werde eine Öffnungsstrategie erwartet - Testen sei deshalb wichtig.

In Düsseldorf räumte der NRW-Ministerpräsident ein, der erhoffte Rückgang der Neuinfektionsrate auf 50 beziehungsweise 35 pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen sei nicht eingetreten. Bund und Länder hatten regionale Öffnungsschritte bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 nach dem 7. März angekündigt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, auch wenn die Zahl der Infektionen nicht unter diese Schwelle sinke, könne es eine leichte Öffnung geben.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) forderte in der "Rheinischen Post" einen konkreten Stufenplan von der nächsten Bund-Länder-Runde am 3. März. Kretschmann dämpfte Hoffnungen des Einzelhandels. Eine Wiedereröffnung der Geschäfte sei nur möglich, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz stabil unter 35 liege. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will an diesem Freitag mit seinen Länderkollegen über Öffnungen beraten.

Der Berliner Senat will voraussichtlich einen eigenen Öffnungsplan einbringen. Der Lockdown soll zwar über den 7. März hinaus verlängert werden. Öffnungen soll es je nach den Corona-Zahlen aber geben - abgestuft etwa für Sport für Kinder bis 12, für Restaurant-Terrassen, Geschäfte oder Theater. Hamburg verschärft unterdessen die Maskenpflicht. Vom Wochenende an muss voraussichtlich überall Maske getragen werden, wo kein Abstand eingehalten werden kann.

TESTS:

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), zeigte sich enttäuscht, dass die geplanten kostenlosen Corona-Schnelltests später kommen sollen als erwartet. "Es ist zum wiederholten Mal so, dass von Seiten des Bundesgesundheitsministers Dinge angekündigt wurden, die dann so oder zumindest so schnell nicht kommen", sagte Müller im ZDF. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem "Armutszeugnis" für Spahn. Der CDU-Politiker hatte Schnelltests in Testzentren, Praxen oder Apotheken zum 1. März angekündigt. Jetzt wollen Bund und Länder aber erst am 3. März darüber beraten. In Regierungskreisen hieß es, die Tests könnte in der Woche danach allen angeboten werden.

IMPFEN:

Der Digitalverband Bitkom forderte eine Verbesserung des Impfmanagements. "Dieses Chaos bei der Terminvergabe ist einer High-Tech-Nation wie Deutschland absolut unwürdig", sagte Verbandspräsident Achim Berg. 29 Prozent der Befragten einer Bitkom-Umfrage, die einen Termin für eine Corona-Impfung vereinbaren wollten, hätten 50 oder mehr Anläufe unternehmen müssen. Noch ist wegen der Impfstoffknappheit die erste Gruppe der Über-80-Jährigen und der Menschen in Pflegeheimen nicht vollständig geimpft.

Der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sieht die Hausärzte für flächendeckende Corona-Impfungen bereit, wie er der "Rheinischen Post" sagte. Laschet sprach sich dafür aus, auch Zahnärzte heranzuziehen. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, kritisierte im Deutschlandfunk, dass Lehrkräfte und Kitabeschäftigte früher als bisher geplant geimpft werden sollen.

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