Berlin. 800 Millionen Schnelltests sind Angela Merkels Faustpfand für die Verhandlungen mit den Ländern. Wie sieht ihre Öffnungsstrategie aus?

  • Gesundheitsminister Jens Spahn reserviert 800 Millionen Schnelltests
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel stoppt den Alleingang - Schnelltests müssten mit den Ländern besprochen werden
  • Die Bundeskanzlerin will Verteilbedingungen bestimmen
  • Selbsttests sind für Laien freigegeben - Spahn rechnet mit weiteren Zulassungen

Schnelltests für alle? Sofort und kostenlos? Nicht mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reservierten 800 Millionen Schnelltests sind für die Kanzlerin ein politisches Faustpfand.

Wenige Tage vor den neuen Bund-Länder-Beratungen hat die Kanzlerin Hoffnungen auf sehr schnelle und umfassende Lockerungen der strengen Kontaktbeschränkungen mit der Einführung der Corona-Selbsttests gedämpft. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder warnte vor „Öffnungshektik“. Kanzlerin und Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beraten am Mittwoch erneut.

Merkel dämpft Hoffnungen Schnelltest-Strategie

Der Druck aus der Wirtschaft ist groß, unter anderem der Handel fordert, die Wiedereröffnung der Innenstädte nicht vom Erreichen einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen abhängig zu machen. Mehrere Bundesländer haben bereits für Anfang kommende Woche über Friseurläden hinaus die Öffnung etwa von Gartenmärkten und Blumenläden angekündigt.

Hoffnungen für mehr Normalität richten sich auch auf Schnelltests, die geschultes Personal vornehmen sollen, und auf Laien-Selbsttests. Merkel sagte vergangene Woche nach Beratungen beim EU-Gipfel, es müsse zunächst gründlich geprüft werden, „ob wir uns durch ein vermehrtes Testen auch mit diesen Selbsttests einen Puffer erarbeiten können, so dass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35“. Man könne trotz der Selbsttests weder auf Inzidenzen generell verzichten noch sofort öffnen.

Lockdown: Merkel bereitet Öffnung vor

Am 3. März steht für Merkel und die Ministerpräsidenten der Anfang vom Ende des Lockdowns auf der Agenda. Der bisherige Lockdown endet vier Tage später am 7. März. Und gerade die Tests sollen die Rückkehr in die Normalität absichern.

„Wir bleiben zu Hause“ war gestern. Im März gehen wir raus. Die Frage ist nur: Wie? Wie schnell? In welchen Schritten? Mit welchem (Stufen)Plan? Unter welchen Sicherheitsvorkehrungen? Wie lernen wir, mit dem Virus zu leben? Merkels Leitidee verriet ihr Sprecher Steffen Seibert: „Was wir machen, wollen wir dann auch durchhalten.“

Da kommen die Schnelltests ins Spiel. Der Bund hat sie, die Länder brauchen sie: als Leitplanken für eine Öffnungsstrategie, in den Altenheimen und Schulen. Überall dort, wo Menschen wieder für längere Zeiträume zusammen kommen, sollen sie sich vorher testen lassen. Vor der Unions-Fraktion sagte Merkel, es gebe drei zentrale Bereiche: Persönliche Kontakte, Schulen sowie Sport, Restaurants und Kultur.

Lesen Sie dazu: Kosmetiker und Fußpfleger: Jetzt sind wir an der Reihe

Die Mutationen auf dem Vormarsch, Sorge vor einer dritten Welle

Ein negatives Ergebnis ist eine Momentaufnahme, aber immerhin eine Risikominimierung: wer positiv ist, bleibt zu Hause. Deswegen ist es Merkel so wichtig, die 800 Millionen Tests nicht ohne eine Gegenleistung herauszurücken: Sie will die Verteilbedingungen bestimmen und die Schnelltests nicht wahllos verteilen lassen.

Merkel kostete es Überwindung, sich überhaupt auf eine Exitstrategie einzulassen. Das ist auch eine Haltungsfrage. Es bedeutet, dass eine No-Covid-Strategie keine Option mehr ist und dass die Kanzlerin die Deutschen darauf einstimmt, mit dem Virus zu leben.

Lesen Sie auch: Corona-Schnelltests für Laien: Spahns Pläne vorerst gestoppt

Eine Restsorge bleibt. Merkel weiß von den Virologen, dass die ungleich ansteckenderen Mutationen von Covid-19 auf dem Vormarsch sind. Ihr Anteil wird auf 20 bis 25 Prozent geschätzt. Tendenz: steigend. Für den SPD-Fachpolitiker Karl Lauterbach ist die dritte Welle längst da und so unaufhaltsam, dass die angepeilte Inzidenz von 35 im Frühjahr vielerorts nicht mehr erreichbar sei, wie er glaubt. Die Tatsache, dass es eine dritte Corona-Welle gebe, könne nicht wegdefiniert werden, sagte auch Merkel vor den CDU-Abgeordneten.

Das Pendant zur den Tests: Die Impfungen

Vor allem hat die Kanzlerin genau im Kopf, dass die Öffnung in Wahrheit ohnehin längst in Gange ist: In den meisten Bundesländern gehen die Kinder wieder zur Schule, Bau- und Gartenmärkte haben in einigen Ländern wieder geöffnet, seit 1. März auch die Friseure.

Merkels zweite „Sicherung“ neben den Schnelltests: Die Impfungen. Allein für nächste Woche erwartet die Bundesregierung knapp zwei Millionen Impfdosen, über eine Million von AstraZeneca, mehr als 900.000 von Biontech, in den anschließenden vier Wochen folgen jeweils annähernd 1,2 Millionen, 1,6 Millionen, 1,7 und 1,9 Millionen weitere Impfdosen.

Entgegen kommen der Kanzlerin die ersten Hinweise, dass die Impfungen nicht vor einem Corona-Ausbruch schützen, sondern zu fast 90 Prozent auch eine Übertragung verhindern. Schon wird in Deutschland – Vorbild Israel – über eine Eintrittskarte für die ersten großen Schritte in die Normalität spekuliert: einen Impfnachweis. (mit dpa)