Berlin. Es geht um eine halbe Milliarde Euro: Im Streit um die gescheiterte PKW-Maut wirft der Bund den Betreiberfirmen Trickserien vor.

Der Vorwurf ist ungeheuerlich: Obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 18. Juni die PKW-Maut in Deutschland bereits gestoppt hatte, sollen Betreiberfirmen Aufträge von mehr als einer halben Milliarden Euro vergeben haben. Das berichten „Süddeutsche Zeitung“ und „WDR“.

Der Rechercheverbund beruft sich auf ihm vorliegende vertrauliche Unterlagen, unter anderem auf einen Brief vom 25. Juni, in dem eine vom Verkehrsministerium beauftragte Anwaltskanzlei den betroffenen Firmen den „vorsätzlichen Versuch einer Schädigung“ vorwirft.

PKW-Maut: Es geht auch um unzulässige Unterverträge

Demnach geht es um sieben Verträge mit einem Volumen von 576 Millionen Euro, die mit Unterauftragnehmern geschlossen worden sein sollen. Nach Angaben des Verkehrsministeriums war es dem Betreiber vertraglich untersagt, überhaupt solche Unterauftragnehmerverträge ohne vorherige Zustimmung des Bundes abzuschließen.

Damit ist nicht mehr nur Verkehrsminister Andreas Scheuer, für den das Urteil einer politischen Ohrfeige gleichkam, dem Vorwurf ausgesetzt, unverantwortlich mit Steuergeldern umgegangen zu sein. Sondern auch die Betreiberfirmen selbst, die ihrerseits Entschädigung vom Bund verlangen.

Scheuer steht in der Kritik, weil er die Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim 2018 geschlossen hatte, bevor endgültige Rechtssicherheit bestand. Kurz nachdem der EuGH die Maut für rechtswidrig erklärt hatte, kündigte der Bund die Verträge. Dafür gab Scheuer am 26. Juni folgende Gründe an:

  • das Gerichtsurteil
  • die schlechte Leistungen der Auftragnehmer
  • die Vertragsvergabe nach der Kündigung

Tricks nach dem EuGH-Urteil

Laut „Süddeutscher Zeitung“ spricht das Verkehrsministerium inzwischen von „Tricksereien“ kurz nach dem EuGH-Urteil. In der Nacht des 20. Juni soll der Anwalt der Betreiberfirmen 15 Mails an den Bund versandt haben, die auch die neuen, gerade erst unterschriebenen Verträge enthielten. Die Vereinbarungen hätten nur dazu gedient, „nachträglich Ansprüche in erheblicher Höhe gegen den Auftraggeber zu kreieren“.

Die Firmen des Betreiberkonsortiums, CTS Eventim und Kapsch, äußerten sich bisher nicht; das Verkehrsministerium bestätigte hingegen den Kern des Vorwurfs, so die „Süddeutsche“.

Auch der Bundesrechnungshof beobachtet

Bisher ist unklar, ob und in welcher Höhe der Bund den vorgesehenen Betreiberfirmen Entschädigungen zahlen muss. Die Opposition im Bundestag setzt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen der zu früh abgeschlossenen Verträge unter Druck.

So hat sich der Grüne Verkehrsexperte Stephan Kühn im August an den Bundesrechnungshof gewandt, der nun die Abwicklung der PKW-Maut beobachten will. Kühn wirft Scheuer vor, das Risiko eines negativen EuGH-Urteils „zu seinem Stammtisch-Projekt PKW-Maut systematisch heruntergespielt und unterschätzt“ zu haben. (bik/dpa)