Frankfurt/Berlin. Ein Rechtsextremist hat den Politiker Walter Lübcke erschossen. Das Urteil ist gesprochen, doch für die Angehörigen bleibt der Schmerz.

Er dachte nur, er würde noch schlafen. Wie er da saß. Der Kopf an die Lehne gestützt, die Arme hängen schlaff herunter, in der Hand noch eine Zigarette. Sie glühte nicht mehr. So beschreibt Jan-Hendrik Lübcke die Nacht, als er seinen Vater auf der Terrasse entdeckte.

Der Sohn kam gerade von der Kirmes im kleinen Nachbarort von Kassel, ein munterer Abend. „Komm, Papa, wach auf!“, diesen Satz wirft er seinem Vater, Walter Lübcke, noch neckisch zu. Dann versucht er ihn zu wecken. Aber Jan-Hendriks Vater reagiert nicht. Sein Körper war ganz kühl.

Der Täter: Seit der Kindheit verwurzelt in der rechtsextremen Szene

Der Hauptangeklagte, Stephan E., ist wegen des Mordes an Walter Lübcke am Donnerstag zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main stellte in seinem Urteil zudem die besondere Schwere der Schuld des 47-Jährigen fest.

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Stephan E. war seit seiner Kindheit tief verwurzelt in der rechtsextremen Szene, viel mehrfach auf mit Gewaltdelikten, 2016 soll er einem irakischen Flüchtling ein Messer in den Rücken gerammt haben.

Der Mord, erzählt der Sohn laut Medienberichten vor Gericht, habe die Familie „innerlich zerrissen“. Auch mehr als ein Jahr nach der Tat würden die Angehörigen das Attentat nicht verstehen. Nicht fassen können.

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Halle, Hanau, Kassel – die Spur des rechten Terrors durch Deutschland

Die Familie von Walter Lübcke ist nicht allein. Auch Menschen in Hanau trauern um getötete Angehörige, Menschen in Halle. Mehrfach hatten Gewalttäter aus rassistischen oder rechtsextremen Beweggründen in den vergangenen Jahren gemordet. Der rechte Terror – er war nie weg. Doch er kehrte erst jetzt wieder stärker in die öffentliche Debatte.

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Und damit auch die Trauer der Hinterbliebenen der Opfer. In Halle traf der Terror eine Frau, die nur zufällig auf den Attentäter und Neonazi Stephan B. vor der Synagoge der Stadt in Sachsen-Anhalt traf. Später erschoss der Täter einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss.

Tobias R. schoss wahllos auf Menschen in dem Café

Kemal Kocak sagt, er habe das Vertrauen verloren. In den deutschen Staat. In die Sicherheitsbehörden, den Kampf gegen Rassismus. So berichtet es Kocak einem Reporter der dpa. Sein Sohn betreibt im hessischen Hanau einen Kiosk und ein Café, die „Arena Bar“. Im Februar 2020 feuerte der rechtsextrem motivierte Attentäter Tobias R. wahllos auf Menschen in der Bar, die vor allem von Migranten besucht wird. R. erschoss an dem Tag neun Menschen an mehreren Orten der Stadt.

In Hessen haben die Regierenden nun ein „Sonder-Förderprogramm“ aufgelegt. Mit Geld vom Staat soll das Gedenken an die Opfer aufrechterhalten werden. „Die schreckliche Tat bleibt ganz Hessen Mahnung und Motivation im Kampf gegen den Hass“, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) der dpa. Mit einer Sondereinheit der Polizei will der Staat jetzt den Druck auf die rechtsextreme Szene erhöhen.

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Symbole helfen den Angehörigen bei der Trauer – aber das reicht nicht aus

Viele Politiker reisen nach Attentaten zu den Tatorten, treffen sich im engen Kreis mit der Familie, den Angehörigen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war in Hanau, Innenminister Horst Seehofer in Halle. Den Betroffenen, so berichten es Opferverbände, ist dieses Zeichen der Solidarität von höchster staatlicher Stelle wichtig.

Zugleich aber üben Opferverbände immer wieder Kritik. Vor allem: Die Hintergründe der Taten bleiben oftmals unvollständig aufgeklärt. In einigen Fällen kommen die Ermittler nicht weiter, trotz großer Anstrengung. Beweise fehlen, Spuren sind verwischt worden, Täter tot, Zeugen fehlen. All das sind Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden, wenn sie Attentate aufklären.

Akten geschreddert, Informationen zurückgehalten

Zugleich wächst die Sorge bei Interessenvertretern der Angehörigen, dass trotz Mordserien noch immer nicht entschieden aufgeklärt werden. Eine tiefe Wunde hat die Aufarbeitung der Mordserie des selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gerissen: Akten wurden durch die Behörden geschreddert oder Untersuchungsausschüssen nur geschwärzt vorgelegt. Informationen über Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die möglicherweise Kenntnisse über Tathergänge hatten, wurden gedeckt.

Zugleich beunruhigen die Angehörigen auch die Berichte über rechtsextreme Gruppierungen innerhalb der Polizei. So sorgten einzelne Netzwerke für Schlagzeilen, in denen sich Beamte rassistisch in Chatgruppen austauschten – und sogar Waffen horteten für einen „Tag X“, an dem sie bereitstehen wollten, um loszuschlagen.

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„Als wäre es nur ein Autounfall“

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke sagte auch Ahmed I. im Gericht aus. Er ist der Mann aus dem Irak, den Attentäter Stephan E. 2016 mit einem Messer attackiert haben soll. Die Beweislage ist dünn. E. bestreitet die Tat.

Ahmed I. sagte nach seiner Vernehmung im Saal des Gerichts, dass er sich „wie unsichtbar“ gefühlt habe. Alles habe sich angefühlt, als sei die Sache nun erledigt. Wenig Interesse des Gerichts, wenig Geduld – so hat Ahmed I. es laut einem Gespräch mit der dpa empfunden. „So kannst du dich verhalten, wenn es um einen kleinen Unfall geht und ein Auto einen Schaden hat. Aber es wurde versucht, mir das Leben zu nehmen“, sagte er. (cu/dpa)

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