Wien. Es geht um Korruption, Betrug und geschönte Umfragen: Die Polizei durchsucht das Kanzleramt in Wien. Wie lange hält die Regierung noch?

Hunderte Seiten ist sie lang, die Durchsuchungsanordnung, mit der Ermittler in Wien am Mittwochvormittag ausrückten. Der Umfang ergibt sich dabei wohl aus den Zieladressen: der Ballhausplatz in Wien, Sitz des Bundeskanzlers, sowie die Lichtenfelsgasse neben dem Wiener Rathaus, Zentrale der Kanzlerpartei ÖVP. Dort also fanden am Mittwoch Hausdurchsuchungen statt. Ebenso im Finanzministerium sowie an einer Reihe von Privatadressen.

Dabei dreht sich alles um das allerengste Umfeld des Kanzlers selbst: etwa um Kanzlersprecher Johannes Frischmann, den Medienbeauftragten von Kanzler Sebastian Kurz, Gerald Fleischmann, den Kurz-Berater Stefan Steiner, aber auch um Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel selbst sowie um mehrere Personen aus dem Umfeld der ÖVP.

Razzien: Regierung soll Umfragen im Sinne von Kanzler Kurz bezahlt haben

Der zunehmend eskalierende Kleinkrieg zwischen dem Kanzler und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist mit den Razzien am Mittwoch jedenfalls kein Kleinkrieg mehr. Vor allem aber wurde mit diesen Razzien ein ganz neues Kapitel in den Korruptionsermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld aufgeschlagen: Der Vorwurf lautet diesmal auf Bestechung, Bestechlichkeit sowie Untreue. Und es ist ein ganz neues Konglomerat an Vorwürfen, das hinter den jetzigen Durchsuchungen steht.

Der Hintergrund: Angebliche Absprachen zwischen dem Umfeld Kurz’ und dem Herausgeber des Boulevardblatts „Österreich“, Wolfgang Fellner, sowie Umfragen im Interesse der ÖVP, die per Scheinrechnungen als Studien des Finanzministeriums abgerechnet worden seien. Sprich: Das Finanzministerium soll demnach für ÖVP-Umfragen im Sinne von Kurz bezahlt haben. Außerdem sei mit der Gratiszeitung „Österreich“ eine Vereinbarung über Regierungsinserate getroffen worden. Lesen Sie auch: Schuldspruch für Österreichs Ex-Vize Strache

Beschlagnahmtes Handy enthüllt gleich mehrere Skandale

Ausnahmslos soll es sich dabei um Deals handeln, die noch vor Kurz’ Kanzlerschaft geschlossen wurden. Die ÖVP war damals in einer Koalition mit der SPÖ, das Finanzministerium war in der Hand der ÖVP. Und daraus ergibt sich die Quelle für die jetzigen Ermittlungen: Thomas Schmid.

Er war in dieser damaligen Regierung Generalsekretär im Finanzministerium, später erhielt er unter Umständen, die ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen sind, den Chefposten bei der Staatsholding ÖBAG, musste dann aber unter großem öffentlichen Druck zurücktreten. Zuvor war bekannt geworden, dass sich Schmid die Ausschreibung für den ÖBAG-Chefposten selbst geschrieben hatte – inwieweit Kurz darin involviert war, ist offen.

Der jetzige Vorwurf lautet jedenfalls, Kurz habe Schmid direkt beauftragt, eben diese Vereinbarung zu treffen. Die Hinweise dazu fanden sich auf Schmids Mobiltelefon, wie es heißt. Das wiederum war im Zuge von Ermittlungen in einer ganz anderen Angelegenheit beschlagnahmt worden. Lesen Sie hier: Interview: Österreichs Kanzler Kurz zur Bedeutung der Bundestagswahl

Der Inhalt dieses Telefons jedenfalls hat eine ganze Serie an Skandalen und Affären ins Rollen gebracht: Da waren die Chats mit Blümel, in denen Blümel Schmid als Teil der „Familie“ bezeichnet und Unterstützung bei seinem ÖBAG-Unterfangen zugesichert hatte. Da waren die Chats, in denen Kurz Schmid versichert hatte, er bekomme doch eh alles, was er wolle. Da waren die Ausführungen Schmids darüber, wie es ohne Diplomatenpass und damit sei, „wie der Pöbel“ reisen zu müssen.

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    Kritiker: Kurz hat sich unkritischen Verlautbarungsapparat geschaffen

    Nach dieser Serie sind die neuen Vorwürfe gegen Kurz ein schwerer Rückschlag für den Kanzler. Kritiker hatten bereits seit Jahren angemerkt, dass sich Kurz über Regierungsinserate, für die das Budget massiv aufgestockt wurde und die zu einem Großteil an Boulevardmedien gehen, einen unkritischen Verlautbarungsapparat geschaffen habe.

    Die ÖVP und das Medienhaus dementierten indessen die Vorwürfe. „Zu keinem Zeitpunkt gab es zwischen der Mediengruppe und dem Finanzministerium eine Vereinbarung über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate“, teilte die Mediengruppe mit. Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz sprach in einer Mitteilung von falschen Anschuldigungen. „Das passiert immer mit demselben Ziel und System: die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen“, sagte sie. (mit dpa)

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