Berlin . Nach Protest im Fernsehen gibt es für Marina Owsjannikowa „kein Zurück“ mehr. „Ich bin jetzt der Feind Nummer Eins hier“, sagt sie.
Die russische TV-Redakteurin Marina Owssjannikowa wird weltweit gefeiert, nachdem sie live im russischen Fernsehen gegen den Krieg in der Ukraine protestierte. Kurz nach der Protest-Aktion, bei der Owssjannikowa am Montagabend in den Hauptnachrichten ein Plakat mit der Aufschrift „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Sie lügen euch an“, hochhielt, wurde sie verhaftet.
Owssjannikowa wurde bereits am Dienstag zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro) verurteilt. Sie sei nach eigenen Angaben bei Freunden untergekommen und in Sicherheit. Doch möglicherweise droht ihr eine weitere Strafe: Es seien Ermittlungen wegen der angeblichen Verbreitung von Lügen über Russlands Streitkräfte aufgenommen worden, meldete die Staatsagentur Tass unter Berufung auf eine Quelle bei den Ermittlungsbehörden. Befürchtet wurde, dass Owssjannikowa doch noch nach dem neuen Mediengesetz belangt werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.
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Marina Owssjannikowa im Interview mit dem „Spiegel“
In einem am Mittwochabend veröffentlichten Interview mit dem „Spiegel“ sprach Owssjannikowa ausführlich über ihre Motive, die aktuelle Situation und weitere Pläne. Das Gespräch zeichnet das Bild einer mutigen Frau, die lange zwischen ihrer Liebe zu Russland, ihrem Job als Redakteurin für einen Putin zugewandten Staatssender und ihrem Wissen über den „Informationskrieg“ wie sie es bezeichnet, gestanden hat.
Sie sei nicht „politisiert“ gewesen. Ihre Unzufriedenheit habe sich über Jahre hinweg aufgebaut. Die Ereignisse in der Ukraine seit 2014, Vergiftung von Alexej Nawalny und immer eingeschränktere Medienfreiheit, von der sie als Redakteurin zunehmend betroffen war.
Owssjannikowa war im russischen Staatsfernsehen für Auslandsnachrichten zuständig
Beim Ersten Kanal habe sie im Bereich Auslandsnachrichten gearbeitet, stand mit den internationalen Agenturen wie Reuters und Eurovision in Kontakt, verfolgte die westlichen Nachrichten, recherchierte, nahm Interviews mit Politikern und Experten aus dem Ausland auf. So erzählt es Owssjannikowa dem „Spiegel“.
Sie glaube zwar, die Wahrheit liege meist irgendwo dazwischen: „Man muss alle Quellen recherchieren, russische, ukrainische und internationale“, doch die zunehmende Staatspropaganda sei zu einer großen Belastung geworden.
Ihr Umfeld habe nicht an den Ukraine-Krieg geglaubt
Niemand in ihrem Umfeld habe an einen Krieg geglaubt. „Wir dachten Russland, die USA und Nato rasseln mit den Säbeln.“ Während die internationalen Agenturen Bilder des Krieges in der Ukraine zeigten, wurden in Russland die Bilder nicht gesendet, auch die eigenen Todesopfer seien ausgelassen worden.
Erst einen Tag vor der Aktion am Montagabend habe sie sich hingesetzt und das Plakat gemalt. Von ihren spontanen Plänen habe sie im Vorfeld niemandem erzählt.
Owsjannikowa: „Ich bin Patriotin, mein Sohn ein noch viel größerer“
Owsjannikowa sagte im Interview mit dem „Spiegel“, ihr Sohn habe ihr vorgeworfen, sie habe das Leben „von uns allen zerstört“. Sie selbst nehme aktuell Beruhigungsmittel und äußert sich besorgt über ihre Sicherheit. „Es kann alles passieren.“ Doch sie habe den Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt. Trotz ihrer unsicheren Lage, Anfeindungen in Russland, drohende Strafen und mangelnder Unterstützung ihrer Familie, wolle sie mit ihren Kindern in Russland bleiben.
„Ich bin Patriotin, mein Sohn ein noch viel größerer“, so die Fernsehjournalistin im Interview. „Wir wollen auf keinen Fall weg, nirgendwo hin auswandern.“ Allerdings habe ihr offener Protest gegen den Ukraine-Krieg ihr Leben grundlegend verändert. „Ich bin jetzt der Feind Nummer Eins hier“, so Marina Owssjannikowa. (vad/mit dpa)
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