Berlin/Warschau. Eine bevorstehende Reparationsforderung in Billionen-Höhe und antideutsche Töne: Was Annalena Baerbock bei ihrer Polenreise erwartet.

Im angespannten Verhältnis zwischen Deutschland und Polen droht eine weitere Abkühlung: Die polnische Regierung wird Deutschland in Kürze offiziell eine gigantische Reparationsforderung von 1,3 Billionen Euro für die im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden unterbreiten: Die diplomatische Note soll in diesem Monat in Berlin mit der Aufforderung übergeben werden, jetzt Verhandlungen zu beginnen.

Das Reparationsverlangen wird begleitet von scharfen Attacken der polnischen Regierung und der nationalkonservativen Mehrheitspartei PiS auf den Nachbarn im Westen - mitten in der Ukraine-Krise nimmt sie Züge einer Anti-Deutschland-Kampagne an. Keine leichte Aufgabe für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die diese Woche schon zum dritten Mal in ihrer Amtszeit nach Polen reist; am Dienstag spricht sie mit ihrem Amtskollegen Zbigniew Rau vor allem über den Ukraine-Krieg.

„Die Beziehungen sind in keinem guten Zustand“, sagt der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD), er spricht von einer „aggressiven antideutschen Politik“ der PiS-Partei.

Ortstermin in der Regierungszentrale von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) in Warschau. Der hohe Regierungsvertreter, der namentlich nicht zitiert werden möchte, empfängt den Besuch aus Deutschland mit bitteren Vorwürfen. „Wir haben sehr starke Argumente. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es für die polnische Nation nie Wiedergutmachung gegeben.“ Die Reparationszahlungen seien eine „Chance zur Versöhnung“ zwischen Polen und Deutschland, andernfalls werde angesichts der ungeheuren Zerstörungen eine große Ungerechtigkeit die Beziehungen belasten.

Sechs Millionen Polen starben während der deutschen Besatzung

Die Zusammenfassung eines Reports, den ein Expertenteam nach vier Jahren Arbeit jetzt als Basis der Reparationsforderung vorgelegt hat, zeigt der Regierungsvertreter per Power-Point-Präsentation. Bilanz der Verwüstung durch die lange deutsche Besatzung: Sechs Millionen Polen starben während der Besatzung, insgesamt verlor Polen von 1939 bis 1946 rund 11,2 Millionen Einwohner. 2,1 Millionen Zwangsarbeiter in deutschen Unternehmen, 196.000 gestohlene Kinder, 4 Millionen Opfer in den Konzentrationslagern auf polnischem Boden. „Deutschland hat Namibia für den Völkermord vor 120 Jahren bezahlt. Umso mehr hat Polen Anspruch auf Reparationen“, sagt der Regierungsrepräsentant.

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) reist zum dritten Mal nach Polen. Der Besuch wird überschattet von hohen Reparationsforderungen Polens an Deutschland. ,
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) reist zum dritten Mal nach Polen. Der Besuch wird überschattet von hohen Reparationsforderungen Polens an Deutschland. , © dpa | Kay Nietfeld

Dabei weiß er natürlich, dass Deutschland die Reparationsforderung klar ablehnt. Für die Bundesregierung ist das Reparationsthema mit dem 2+4-Vertrag von 1990 rechtlich und politisch abgeschlossen. Schon 1953 hatte die polnische Regierung erklärt, „mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf Reparationen zu verzichten“, wie in Berlin betont wird.

Der Verzicht wurde etwa auch im Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 und später durch offizielle Erklärungen Warschaus bekräftigt. Polnische Oppositionspolitiker wie Ex-Ministerpräsident Donald Tusk kritisieren die Reparationsinitiative als „antideutsche Kampagne“, mit der PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński „die Unterstützung für die Regierungspartei wieder nach oben bringen will“.

Kaczyński wolle im Wahlkampf nächstes Jahr die antideutsche Karte spielen. Viel spricht dafür: Der PiS-Chef hat der Ampel-Regierung schon vorgeworfen, sie wolle aus der EU „ein Viertes Deutsches Reich“ machen. Die staatlichen Sender verbreiten täglich antideutsche Propaganda. Seit dem Ukraine-Krieg fällt sie auf fruchtbareren Boden, weil das Gefühl weit verbreitet ist, gerade die deutsche Politik habe die polnischen Warnungen vor russischer Aggression zu lange ignoriert; Premier Morawiecki wirft der Bundesregierung Blockade bei Sanktionen und Zögerlichkeit bei der Hilfe für die Ukraine vor.

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Polens Ex-Botschafter Prawda: „Haben es mit Vergiftungspropaganda zu tun“

Gibt es noch so etwas wie deutsch-polnische Freundschaft? Der Spitzenvertreter in der Regierungszentrale sagt: „Ich zögere, von Freundschaft zu sprechen“. Frage an den früheren polnischen Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, was da los ist in Warschau? „Die polnische Regierung vergiftet die Beziehungen zu Deutschland und blockiert Reformen in der Europäischen Union“, sagt Prawda. „Wir haben es mit einer regelrechten Vergiftungspropaganda zu tun. Die PiS hat es erst mit der Diffamierung von Homosexuellen versucht, dann nahm sie sich die Frauen vor, jetzt sind die Deutschen dran.“

Die polnische Regierung verspiele damit die Chance, ihren Einfluss in einer zunehmend östlicheren EU zu mehren. Andererseits habe die deutsche Regierung das proeuropäische Potenzial in Polen unterschätzt. „Deutschland hätte vielleicht klarer Position zur Verletzung von Rechtstaatlichkeit in Polen beziehen müssen, so wie es jetzt Außenministerin Baerbock getan hat“, sagt Prawda.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, sieht die Bundesregierung an anderer Stelle in der Pflicht: Nicht nur Warschau, auch die Bundesregierung müsse sich mehr um eine herausgehobene Zusammenarbeit bemühen: „In der Politik gegenüber Russland, unserer gemeinsamen Einbindung in EU und NATO und auch in Energiefragen gibt es zukünftig noch mehr Gemeinsamkeiten“, erklärt Hardt. Er verweist auf enge wirtschaftliche, kulturelle und familiäre Beziehungen und versichert: „Polen ist einer unserer wichtigsten Partner und enger Freund.“

Dass es für die Reparationsforderungen keine rechtliche Grundlage gebe, werde die polnische Regierung wissen, so Hardt. „Die Reparationsforderungen werden vor allem von PiS-Politikern innenpolitisch genutzt, um Wahlen zu gewinnen.“

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de

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