Berlin. Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko schießt verbal gegen den Westen – und Putin droht mit atomwaffenfähigen Raketen.

Die Bilder gleichen sich. Russlands Präsident Wladimir Putin sitzt breitbeinig im Sessel, hört gnädig zu. Sein Gegenüber, der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko hat die Hände gefaltet, scheint Putin seine Gefolgschaft zu versichern. Ob Moskau, St. Petersburg oder Sotschi: Treffen die beiden aufeinander, wird auf einen Blick klar, wer Herr ist und wer Vasall.

Offiziell betont Lukaschenko zwar, dass sich sein Land am Ukraine-Krieg nicht direkt beteilige. Doch Belarus war wichtiges Aufmarschgebiet für die russischen Truppen. Von der Ex-Sowjetrepublik aus begann der Angriff auf Kiew.

Mittlerweile gibt es kaum noch Dissens zwischen den Positionen Minsks und Moskaus. Lukaschenko hat Russlands Wortwahl zum Krieg übernommen, spricht wie Putin von „Spezialoperation“, vom „Kampf gegen Nazis“ in der Ukraine. Er liefert Treuebekenntnisse für das „brüderliche Russland“ ab. „Faktisch“, resümiert Lukaschenko, gebe es im gemeinsamen Unionsstaat eine „vereinte Armee“. Und die Verflechtung werde noch enger.

Lukaschenko: „Werden Entscheidungszentren in ihren Hauptstädten ins Visier nehmen“

Gleichzeitig geriert sich Lukaschenko immer mehr als Putins Scharfmacher. Die Drohungen Richtung Westen werden zunehmend schriller. Sollte es eine Attacke auf Belarus geben, werde sein Land sofort reagieren, polterte der seit fast 28 Jahren amtierende Machthaber.

„Vor weniger als einem Monat habe ich den Einheiten der Streitkräfte den Befehl gegeben, die – wie man jetzt sagen kann – Entscheidungszentren in ihren Hauptstädten ins Visier zu nehmen“, blaffte der 67-Jährige. „Fassen Sie uns nicht an - und wir werden Sie nicht anfassen.“ Wenige Tage zuvor habe die belarussische Armee aus der Ukraine abgeschossene Raketen abgefangen, fügte er hinzu.

Putin kündigt die Lieferung von atomwaffenfähigen Raketen an

Putin verstärkte Lukaschenkos die Einschüchterungskulisse durch den Wink mit der Nuklear-Keule. In den kommenden Monaten werde Russland Boden-Raketen vom Typ Iskander-M nach Belarus verlegen, die auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden könnten, kündigte der Kremlchef bei einem Treffen mit Lukaschenko in St. Petersburg an.

Die Iskander haben russischen Medien zufolge eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Darüber hinaus sollen belarussische Kampfflugzeuge vom Typ Su-25 nachgerüstet werden, fuhr Putin fort. „Diese Modernisierung sollte in Flugzeugfabriken in Russland vorgenommen werden.“ Dann könnten diese Flugzeuge auch Kernwaffen transportieren.

G7-Gipfel der westlichen Industriestaaten gab sich ernsthaft besorgt

Der Westen gab sich angesichts der bevorstehenden Lieferung nuklearwaffenfähiger Raketen nach Belarus alarmiert. In einem gemeinsamen Statement, das auf dem G7-Gipfel im bayerischen Elmau veröffentlicht wurde, hieß es, man sei angesichts dieser Ankündigung ernsthaft besorgt.

Lukaschenko und Putin, so scheint es, sind in Nibelungentreue verbunden. Der belarussische Staatschef hatte Proteste in seinem Land nach gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 blutig niederknüppeln lassen. „Ihr müsst mich schon umbringen, wenn ihr mich weghaben wollt“, schleuderte er seinen unzufriedenen Landsleuten damals entgegen. Die gleiche Härte zeigt er nun im Konflikt zwischen Russland und dem Westen.

Fachleute rätseln: Warum blieb der Marschbefehl aus Minsk aus?

Dabei hatte es zu Beginn des Ukraine-Krieges in Washington und Brüssel noch die leise Hoffnung gegeben, dass Lukaschenko einen Sonderweg beschreiten könnte. Die belarussische Armee führte bereits große Truppenkontingente an die ukrainische Grenze heran. Geheimdienstquellen in Kiew nannten den 11. März, 21 Uhr, als Termin für den Kriegseintritt.

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Doch der Marschbefehl aus Minsk blieb aus. Seither rätseln Fachleute, was zwischen Putin und Lukaschenko passiert ist. Beide trafen sich an jenem 11. März in Moskau und sprachen fünf Stunden lang miteinander. Doch worüber? Der im Exil lebende belarussische Politanalyst Waleri Karbalewitsch glaubt, Lukaschenko habe sich schon vor Kriegsbeginn „für alle Fälle und Lebenslagen gewappnet und sich alle Handlungsoptionen offengehalten“.

Lukaschenko will Belarus als Verhandlungsort wiederbeleben

Sein Auftritt in Moskau sei „ein Meisterwerk der politischen Mimikry“ gewesen, so Karbalewitsch. Lukaschenko habe im öffentlichen Teil „Ergebenheit geheuchelt“, um hinter verschlossenen Türen seine Trümpfe auszuspielen. War also alles nur Tarnung und Täuschung, um sich am Ende aus Putins Klammergriff zu befreien? Möglicherweise, um die harschen Sanktionen der EU loszuwerden?

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Karbalewitschs Kollege Pawel Mazukewisch sagt: „Es liegt auf der Hand, dass Lukaschenko Belarus als Verhandlungsort wiederbeleben will, um seinen Ruf als Schurke loszuwerden.“ Das traf zumindest auf die Vergangenheit zu. Die ersten russisch-ukrainischen Verhandlungen über ein mögliches Kriegsende fanden Anfang März in Belarus statt.

Mit der „Schaukelpolitik“ klassischer Schule ist es nun endgültig vorbei

Schon 2014/15 war Minsk der Ort gewesen, in dem über eine Friedenslösung für den Donbass verhandelt wurde. Damals arbeitete sich Lukaschenko, der die russische Krim-Annexion nicht anerkannte, aus der internationalen Isolation heraus. Der Westen hob damals Sanktionen gegen Belarus auf.

Doch mit dieser „Schaukelpolitik“ klassischer Schule sei es endgültig vorbei, glaubt der ehemalige Minsker Diplomat Pawel Sljunkin: „Allen ist doch klar, dass Lukaschenko weder Friedensstifter noch eine dritte Partei ist. Er ist in der Ukraine ebenso Aggressor wie Russland.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de