Berlin/Washington. Putins „Blitzkrieg“-Plan in der Ukraine ist nicht aufgegangen. Nun stellt sich die Frage: Wie wahrscheinlich ist seine Niederlage?

  • Der Krieg in der Ukraine tobt weiterhin heftig, der Widerstand von Militär und Bevölkerung ist groß
  • Damit hat Russlands Präsident Wladimir Putin offenbar nicht gerechnet
  • Könnte es gar zu einer Niederlage Russlands kommen?

Zwei Wochen nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine tobt der Krieg unvermindert heftig. Der Widerstand der ukrainischen Kräfte ist immens. Wie wahrscheinlich ist es, dass Präsident Wladimir Putin den Waffengang verliert?

Der Kremlchef rechnete mit einem „Blitzkrieg“-Szenario. Rund 160.000 russische Soldaten sollten die Ukraine in wenigen Tagen besetzen, die Eliten ausschalten und ein Satellitenregime installieren.

Putin ging davon aus, dass die Bevölkerung seine Truppen begrüßen und die Verjagung der „Militär-Junta“ bejubeln würde. Maximale Ziele bei minimalen Kosten, lautete die Moskauer Devise. Die Ukraine sollte demilitarisiert und neutral werden.

Ukraine-Krieg: Putins ursprüngliche Kriegsziele

Keines dieser Ziele hat Putin bislang erreicht. Trotz massiver Zerstörung und eines brutalen Krieges gegen Zivilisten ist die Ukraine zwei Wochen nach Beginn der Invasion nicht besetzt. „Ich glaube, Putin ist im Moment wütend und frustriert“, sagte William Burns, Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA.

Höhe der russischen Verluste ist ungewiss

Verlässliche Zahlen hierzu gibt es nicht. Das Verteidigungsministerium in Moskau gab eine Woche nach Kriegsbeginn die Zahl der gefallenen russischen Soldaten mit 498 an. Normalerweise gibt Russland keine offiziellen Informationen über eigene Verluste heraus.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew vom Mittwoch schossen die ukrainischen Kräfte seit Beginn der Invasion 49 russische Flugzeuge und 81 Hubschrauber ab. Zudem seien 317 Panzer und 1070 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Die Zahl der getöteten russischen Soldaten soll bei etwa 12.000 liegen. Scott Berrier, der Kopf des US-Militärgeheimdienstes DIA, sagte, Russland habe in den ersten zwei Kriegswochen bereits zwischen 2000 und 4000 tote Soldaten zu beklagen.

Brief eines russischen Offiziers sorgt für Wirbel

Der in sozialen Medien geleakte Brief eines anonymen Offiziers des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB sorgt für Wirbel. Militärexperten halten es für durchaus authentisch. Die Wirkung der Sanktionen auf die Wirtschaft in Russland sei gewaltig, heißt es darin.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

„Wir haben eine vorbehaltliche Frist für Juni. Vorbehaltlich deshalb, weil im Juni von der Wirtschaft nichts mehr übrig ist.“ Und: „Es gibt keine Aussicht auf einen möglichen Sieg. Wir haben eine Situation wie in Deutschland 1943/1944.“

Selbst wenn das FSB-Schreiben echt sein sollte, bedeutet das nicht, dass es die Stimmung um Putin wiedergibt. „Die Fachexperten waren beim FSB immer eine Randgruppe. Auf die hat man im Kreml nie gehört“, sagte Gustav Gressel von der Berliner Denkfabrik European Council on Foreign Relations unserer Redaktion.


Russisches Militär ist nicht ausreichend trainiert

Experten sind sich sicher, dass sich Putin und seine Militärs verkalkuliert haben. „Inzwischen erkennen wir, dass die russische Armee nicht dazu in der Lage ist, den Einsatz von Satelliten, Luftwaffe, Marine, Heer und Cyber-Operationen zu vernetzen und zu bündeln, um eine Überlegenheit zu erreichen“, sagte der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse unserer Redaktion.

Für den Ex-Bundeswehrgeneral ist aber das Entscheidende, dass die russischen Truppen „im Kopf und in der Praxis“ nicht ausreichend trainiert seien. „Die Panzer rollen immer nur geradeaus, Ausweichmanöver und Überraschungsangriffe sehen wir nicht. Die Russen können offenbar nur Walze, also mit Artillerie und schweren Geschützen etwas niedermachen und dann nachrücken.“

Ukraine-Krieg: So wahrscheinlich ist Putins Niederlage

In sozialen Netzwerken kursieren Bilder und Berichte von liegen gebliebenen russischen Panzern und Fahrzeugen, denen der Sprit ausgegangen ist. Sowie von Soldaten, die sich kampflos ergeben. „In der Regel gehen Russen sehr zaghaft in Gefechte und ziehen sich sehr schnell zurück, wenn sie auf harten Widerstand stoßen“, bilanziert der Russlandexperte Gustav Gressel.

Kann Putin also den Krieg verlieren? „Nein“, betont der frühere Nato-General Domröse. Aber Putin werde die Ukraine auch nicht entwaffnen und das gesamte Land besetzen können. „Die Ukraine hat die Chance, Russland in einen Erschöpfungsfrieden zu zwingen.“

Selenskyj fordert sofortige Entscheidung für Lieferung von Kampfflugzeugen

weitere Videos

    Auch in den USA sieht man Russlands Chancen skeptisch. H.R. McMaster, Ex-General und Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Donald Trump, betrachtet die Ukraine klar im Vorteil, „weil Putin bereits verloren hat in dem Sinne, dass er nicht sofort gewonnen hat“.

    Das russische Militär verkörpere eine „Potemkinsche Armee“, die auf „entschlossenen Widerstand der Ukraine stoßen wird, die von einem vereinten Westen unterstützt wird“. McMaster sieht das Risiko, dass Putin flächendeckende Zerstörung wie in Grosny (Tschetschenien) und Aleppo (Syrien) anordnen könnte. Darum müsse der Ukraine verstärkt mit „intelligenten Waffen“ und Militärtrainings geholfen werden.

    Neue Beweglichkeit in Moskau und Kiew

    Zumindest auf dem Papier deutet sich in Moskau und Kiew eine neue Beweglichkeit an. Russland strebt nun nach eigenen Angaben keinen Machtwechsel in Kiew an. Ziel sei „weder die Besatzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Mittwoch.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte die Nato-Mitgliedschaft seines Landes nicht mehr zur unumstößlichen Bedingung. Sein außenpolitischer Berater Ihor Tschowka zeigte sich gesprächsbereit über eine mögliche Neutralität der Ukraine. Ob die Kompromiss-Signale zu einer Verhandlungslösung führen, ist aber völlig offen.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.