Jerusalem. Muslime, Juden und Christen pilgern zeitgleich nach Jerusalem – eine explosive Lage, die durch den Tod eines Studenten verschärft wird.

„Wir können hier heute kein Blut mehr sehen“, sagt der Fremdenführer, „aber wir wissen ganz sicher: Genau hier ist Jesus Christus mit dem Kreuz gegangen. Damals war hier alles rot.“ Die Pilgergruppe aus Spanien lauscht den dramatischen Schilderungen ihres Guides, der sie durch die Via Dolorosa in Jerusalems Altstadt führt.

Allzu lange dürfen die Touristen ihre Augen hier aber nicht schweifen lassen. Hinter ihnen drängt schon die nächste Pilgergruppe. Sie führt sogar ein Holzkreuz mit sich, das einer der Pilger auf der linken Schulter trägt. Solche Requisiten gibt es in der Altstadt bei einem Kreuzverleiher zu mieten, auch Dornenkronen werden zum Kauf angeboten.

Die heiligste Stadt im Heiligen Land feiert wieder Hochsaison: Seit zwei Wochen begehen Muslime den Fastenmonat Ramadan, ab Dienstagabend feiern Juden eine Woche lang das Pessachfest, und die Christen Jerusalems steuern auf das Ende der Karwoche und das Osterfest zu. Es ist nicht immer so, dass die drei religiösen Höhepunkte zeitgleich stattfinden, da sie sich jeweils nach unterschiedlichen Zeitrechnungen richten. Dieses Jahr trifft aber alles aufeinander.Und das macht einige Offiziere in Israels Sicherheitsestablishment äußerst nervös.

Allein am vergangenen Freitag kamen mehr als Hunderttausend gläubige Muslime zur Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Hier beten sie, später sitzen sie auf den massiven Steinstufen vor dem Damaskustor, einem der Eingangstore der alten Stadtmauer, die Jerusalems Altstadt begrenzt – und schlürfen nach dem Fastenbrechen Limonade.

Händler verkaufen kleine Geschenke und Souvenirs, vor einem Schokobrunnen stehen Eltern mit Kindern Schlange. Viele der Kinder sehen zum ersten Mal Jerusalem, durften zum ersten Mal das Westjordanland verlassen. Es ist nicht leicht, von Israel eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Im Fastenmonat machen die Behörden der israelischen Besatzung eine Ausnahme, um den Muslimen ihr Gebet in der Al-Aksa-Moschee zu ermöglichen.

Tod eines 26-Jährigen sorgt für Proteste unter israelischen Arabern

Manchmal nutzen Terroristen diese Freiheit aus. Die israelischen Sicherheitskräfte haben den Auftrag, frühzeitig darauf aufmerksam zu werden. Das führt immer wieder zu kritischen Situationen: Am Samstagabend wurde ein 26-Jähriger nahe der Al-Aksa-Moschee von israelischen Polizisten erschossen. Es handelte sich um einen israelischen Araber aus dem Süden des Landes, der in Rumänien studierte und auf Ramadan-Besuch bei seiner Familie war. Obwohl in Jerusalems Altstadt alles voll mit Überwachungskameras ist, beteuerte die Polizei, es gebe von dem Vorfall keine Videoaufnahmen.

Trauernde tragen den Leichnam des Medizinstudenten Mohammed al-Asibi zu seinem Begräbnis.
Trauernde tragen den Leichnam des Medizinstudenten Mohammed al-Asibi zu seinem Begräbnis. © AFP | AHMAD GHARABLI

In sozialen Medien war der Zorn der israelischen Araber groß. Die Polizei habe einen Unschuldigen getötet, hieß es. Lautstarker Protest kam auch von arabischen Politikern in Israel. Mansour Abbas, Chef der arabischen Ra’am-Partei, bezeichnete den Vorfall als „kaltblütigen Mord“ durch die israelische Polizei. Es gebe keinen Beweis darauf, dass der 26-Jährige ein Attentäter war, wie von der Polizei behauptet. Abbas forderte Videobeweise.

Die Polizei entgegnete, dass sich der Vorfall im toten Winkel der Überwachungskameras abgespielt habe. Es sei aber gesichert, dass der Mann die Dienstwaffe eines Polizisten gestohlen und zwei Schüsse abgefeuert habe.

Behörden fürchten weitere Anschläge auf Polizei und jüdische Pilger

Am Sonntag veröffentlichte die Polizei dann einen Bericht, der die offizielle Version erhärtet: Auf einer Dienstwaffe eines Polizisten wurden DNA-Spuren des getöteten Arabers gesichert. Der Vorfall wird nun weiter untersucht. In sozialen Medien haben sich diverse haarsträubende Versionen der Tat aber längst verbreitet.

Nun herrscht Angst vor Racheakten für den vermeintlichen Mord. Ziele dieser Anschläge könnten israelische Sicherheitskräfte, aber auch jüdische Pilger sein: In der Woche der Pessachfeiern besuchen Juden aus ganz Israel und aus dem Ausland die Klagemauer.

Eine kleine Minderheit von ihnen nimmt das zum Anlass für ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die radikale jüdische Gruppe „Rückkehr auf den Berg“ ruft dazu auf, auf den Tempelberg zu gehen und dort ein Lamm zu opfern. Sie bietet sogar bis zu 20.000 Schekel, umgerechnet 5100 Euro, „Preisgeld“ dafür. Für die Moslems, die rund um die Al-Aksa-Moschee beten, ist die Opfergabe eine schwere Provokation.

Auch die Mehrheit der Rabbiner verbietet es, auf dem Tempelberg Opfer darzubringen. Den Radikalen geht es aber weniger um religiöse Rituale, sondern um ein nationalistisches Signal: Der Tempelberg, der von Muslimen Haram Al-Sharif genannt wird, soll als jüdisch markiert werden.

Al-Aksa-Moschee: Zusammenstöße in der Nacht zu Mittwoch

Erst in der Nacht zu Mittwoch kam es zu weiteren Zusammenstößen in der Al-Aksa-Moschee: Wie die israelische Polizei erklärte, sei sie in die Moschee eingedrungen, um „Unruhestifter“ zu vertreiben, die „Feuerwerkskörper, Stöcke und Steine“ in die Moschee gebracht hätten. Indes rief die Hamas im Westjordanland die Palästinenser zur „Verteidigung“ der Moschee auf. Berichten zufolge feuerten radikale Palästinenser im Gazastreifen daraufhin mehrere Raketen Richtung Israel. Mehr zum Thema: Jerusalem: Zusammenstöße in Al-Aksa-Moschee auf Tempelberg

Angriffe auf Christen und christliche Einrichtungen häufen sich

Zuletzt häufte sich allerdings auch die Gewalt gegen Christen und christliche Einrichtungen. Gräber und Kirchen wurden geschändet, christliche Pilger angegriffen, Priester wurden angespuckt. Unbekannte sprühten auf die Wand eines Klosters im armenischen Viertel den Schriftzug „Tod den Christen“.

Die christlichen Autoritäten in Jerusalem sehen die Gewalt im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Lage in Israel: „Die Gewalt im öffentlichen politischen Diskurs in Israel übersetzt sich auch in Gewaltakte gegen die christlichen Gemeinden.“, sagt der Kustos im Heiligen Land, Francesco Patton. Anders als in Jahren zuvor hat die Polizei in Jerusalem dieses Osterfest eine neue Aufgabe: Sie muss nicht nur Ausschreitungen zwischen Juden und Palästinensern verhindern - sondern auch Gewalt gegen Christen.