Berlin. Die Bundesregierung lehnte Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Doch nun vollzieht sie einen Kurswechsel - auch bei den Sanktionen.

Die Bundesregierung ändert ihre bisherige Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine radikal: „Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstagabend und kündigte den Beschluss seiner Regierung an, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Aus Bundeswehrbeständen sollen den ukrainischen Streitkräften „so schnell wie möglich“ 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Beständen der Bundeswehr geliefert werden.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine bedrohe „unsere gesamte Nachkriegsordnung“, erklärte Scholz weiter. „In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin. Deutschland steht eng an der Seite der Ukraine.“ Bisher hatte die Bundesregierung es strikt abgelehnt, die Ukraine mit tödlichen Waffen zu versorgen.

Bisher lieferte Deutschland keine Waffen in Konfliktgebiete

Begründet wurde dies mit der bereits unter der Vorgängerregierung verfolgten Linie, keine Waffen in Konfliktgebiete zu liefern. Vor einem Monat sagte die Bundesregierung lediglich zu die Ukraine mit 5000 Helmen zu unterstützen - die aber erst am Freitag auf den Weg gebracht wurden. In einigen Staaten besonders in Osteuropa war die deutsche Haltung auf Kritik gestoßen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, griff die Bundesregierung mehrfach scharf an deswegen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. © dpa | Uncredited

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte nun den Kurswechsel der Bundesregierung überschwänglich: „Deutschland hat gerade die Lieferung von Panzerabwehr-Granatwerfern und Stinger-Raketen an die Ukraine angekündigt“, erklärte Selenskyj am Abend auf Twitter. „Weiter so, Kanzler Olaf Scholz! Antikriegskoalition in Aktion!“

Auch alte DDR-Haubitzen dürfen geliefert werden

Die Bundesregierung geht aber noch weiter: Sie erlaubt nun auch den Nato-Partnern Niederlande und Estland die Lieferung von aus Deutschland stammenden Waffen an die Ukraine. „Die Bundesregierung hat heute auch der Weiterleitung von 400 Panzerabwehrwaffen aus deutscher Produktion von den Niederlanden an die Ukraine sowie von neun D-30 Haubitzen und Munition ursprünglich aus NVA-Beständen von Estland an die Ukraine zugestimmt“, sagte ein Regierungssprecher am Abend.

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Aufgrund vertraglicher Vereinbarungen ist für die Weitergabe der Artilleriegeschütze aus DDR-Altbeständen durch Estland die Zustimmung Deutschlands erforderlich. Auch dagegen hatte sich die Bundesregierung lange gesträubt.

Baerbock und Habeck: Ukraine muss sich verteidigen können

„Nach dem schamlosen Angriff Russlands muss sich die Ukraine verteidigen können“, erklärten Außenministerin Annalena Baerbock sowie Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). „Sie hat ein unabdingbares Recht auf Selbstverteidigung. Die Bundesregierung unterstützt daher die Ukraine bei der Ausstattung mit dringend benötigtem Material.“

Ein Ukrainer mit seinem Kind an der Grenze zu Polen.
Ein Ukrainer mit seinem Kind an der Grenze zu Polen. © AFP | JANEK SKARZYNSKI

Auch bei den EU-Sanktionen gegen Russland will Deutschland größeren Druck auf Präsident Wladimir Putin machen. Anders als bisher ist die Bundesregierung inzwischen dazu bereit, Russland vom internationalen Banken-Kommunikationssystem Swift auszuschließen. Ein Ausschluss Russlands gälte als sehr weitreichende Sanktion, weil damit russische Banken praktisch vom globalen Finanzsystem abgeschnitten würden.

Russland soll vom Swift-System abgekoppelt werden

Bisher gehörte Deutschland zu einer kleinen Gruppe von Staaten, die diesen Schritt noch nicht gehen wollten. Dies sorgte ebenfalls für Kritik.

Berlin: Teilnehmer an einer Solidaritäts-Demonstration für die Ukraine stehen auf dem Pariser Platz.
Berlin: Teilnehmer an einer Solidaritäts-Demonstration für die Ukraine stehen auf dem Pariser Platz. © dpa | Paul Zinken

„Wir arbeiten daran, Russland so vom Swift-System abzukoppeln, dass Kollateralschäden möglichst klein bleiben“, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nun am Samstagabend. Es werde „mit Hochdruck“ daran gearbeitet, „wie die Kollateralschäden einer Abkopplung von Swift so eingegrenzt werden können, dass sie die Richtigen trifft“, teilten Baerbock und Habeck mit. „Was wir brauchen, ist eine gezielte und funktionale Einschränkung von Swift.“

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Der Bundestag kommt wegen des russischen Großangriffs auf die Ukraine am Sonntag zu einer Sondersitzung zusammen. Scholz will eine Regierungserklärung abgeben. Am Samstag empfing der Kanzler Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda und den polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki zu einem Krisengespräch über den Krieg in der Ukraine in Berlin.

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