Berlin. Der Westen hat Putin und die russische Wirtschaft mit außergewöhnlich harten Sanktionen belegt. Kann Russland diese Maßnahmen umgehen?

Ein teilweiser Ausschluss aus dem SWIFT-System, schwere Einschränkungen für die russische Zentralbank, eingefrorene Konten von Oligarchen in Europa: Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine hat die EU hat ein breites Paket an Sanktionen erlassen und am Wochenende noch einmal nachgeschärft.

Vor allem finanziell sollen die Maßnahmen Russland treffen. Mit schärferen wirtschaftlichen Sanktionen als je zuvor wollen die EU und Partner wie die USA den Druck auf die russische Wirtschaft und so den Präsidenten erhöhen.

Die Auswirkung machten sich am Montag bemerkbar: Der Rubel stürzte an der Börse auf ein historisches Tief gegenüber dem Dollar, europäische Tochtergesellschaften russischer Banken standen laut EZB kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. In Russland bildeten sich lange Schlangen vor Geldautomaten. Doch es gibt Möglichkeiten für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die finanziellen Daumenschrauben des Westens zu umgehen.

SWIFT verbindet mehr als 11.000 Banken weltweit

Der Ausschluss einiger russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem SWIF gilt nicht umsonst als eine der härtesten Waffen, die Staaten im Konfliktfall ziehen können. Das System, das seit den 1970ern besteht, erleichtert internationale Überweisungen, mehr als 11.000 Banken weltweit nutzen SWIFT.

Das SWIFT-Netzwerk erleichtert internationale Geldtransfers.
Das SWIFT-Netzwerk erleichtert internationale Geldtransfers. © dpa | dpa-infografik GmbH

Finanzinstitute, die darauf nicht mehr zurückgreifen können, haben es deutlich schwerer, internationale Geldströme abzuwickeln. Allerdings: Unmöglich ist es nicht. SWIFT ist nicht das einzige Finanzkommunikationssystem.

Russland hat – nachdem der SWIFT-Ausschluss bereits 2014 nach der Annexion der Krim diskutiert wurde – ein eigenes, vergleichbares System aufgebaut, das System for Transfer of Financial Messages (SPFS). Das ist zwar deutlich kleiner und verbindet vor allem russische Geldinstitute. Denkbar wäre aber, dass eines der russischen Häuser, das noch an SWIFT angeschlossen ist, internationale Überweisungen tätigt und empfängt und das Geld dann via SPFS weiterleitet.

Auch China hat ein eigenes SWIFT-Äquivalent, genannt CIPS (cross border interbank payment system), das mit dem russischen System verbunden ist. Auch über diesen Weg könnten weiter internationale Gelder fließen. Wie viel Hilfe Putin aus Peking erwarten kann, ist allerdings unklar – China vermeidet bislang die Festlegung.

Bitcoin und Co. könnten für Putin nützlich werden

Eine andere Ausweichoption könnten nach Einschätzung von Experten Kryptowährungen wie Bitcoin sein: Zumindest zwei theoretische Alternativen zu SWIFT stünden Russland hier zur Verfügung, sagte Philipp Sandner, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance Management. Zum einen könne Russland auf klassische Kryptowährungen ausweichen. Zum anderen könne Präsident Wladimir Putin versuchen, sein Land an die neue chinesische Digitalwährung e-Yuan (eCNY) anzudocken.

„Kurzfristig sind die Ausweichmöglichkeiten in Richtung Krypto-Assets wie Bitcoin und Ethereum sowie e-Yuan noch eher theoretischer Natur“, sagte Sandner, der als einer der führenden Experten für Digitalwährungen in Deutschland gilt. Mittelfristig könnte dies aber ganz anders aussehen. „In einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten kann man schon viel bewegen. Man wird das aber nicht in wenigen Tagen umsetzen können.“

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Höhere Hürden sieht Sandner bei einem Ausweichen auf die chinesische Digitalwährung, die zu den Olympischen Winterspielen in China eingeführt wurde: „Beim digitalen e-Yuan ging es bislang nur um den Zahlungsverkehr im Inland. Eine Anbindung von Menschen und Firmen aus dem Ausland stand bislang dort nicht im Fokus.“

Man könne über Kryptowährungsplattformen seit Jahren Werte verschieben, sagte Sandner. Das gelte nicht nur für den Bitcoin oder Ethereum, sondern auch für so genannte Stablecoins, die fest an den US-Dollar gebunden sind wie Tether (USDT), USD Coin von Circle oder PAX.

„Der Transfer auch von großen Summen funktioniert. Bislang machen da aber vor allem Individuen mit, hauptsächlich junge Leute, die technikaffin sind. Die machen aber nur rund fünf Prozent der Bevölkerung aus.“ Firmen hätten in der Regel gar keine Erfahrungen mit Bitcoin Co., sondern seien fest im SWIFT-System verankert.

Putins Unterstützer: Zahlreiche Oligarchen haben Besitz in London und anderen europäischen Hauptstädten

Neben der russischen Wirtschaft als Ganzes zielen die Sanktionen des Westens auch auf Einzelpersonen: Neben Politikern werden auch Oligarchen, die Putin nahe stehen, mit Strafmaßnahmen belegt. Sehr wohlhabende Russen müssen damit rechnen, dass in Kürze sämtliche in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren werden.

Doch Experten zweifeln, wie schlagkräftig diese Schritte tatsächlich sind. Zum einen ist es nicht unüblich, dass Immobilien, Jachten und anderer Besitz im Westen als Besitz von Familienmitgliedern der Oligarchen oder gar über Strohmänner laufen und so nicht von den Sanktionen getroffen werden. Zum anderen zieht ausgerechnet Ex-EU-Mitglied Großbritannien nach Ansicht von Fachleuten nicht ausreichend mit.

Der Organisation Transparency International zufolge sind in Großbritannien Immobilien im Wert von 1,5 Milliarden Pfund (rund 1,8 Milliarden Euro) im Besitz von russischen Staatsbürgern, denen Korruption vorgeworfen wird. Allein ein Viertel davon befindet sich im Londoner Regierungsviertel Westminster.

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Das Kapital von Firmen, die im Vereinigten Königreich registriert sind und mit russischen Korruptions- und Geldwäschefälle in Verbindung steht, beläuft sich demzufolge auf umgerechnet rund 98 Milliarden Euro.

Der britische Journalist und Autor Oliver Bullough, der sich seit Jahren mit Geldwäsche und korrupten Eliten auseinandersetzt, ist von den bisherigen Sanktionen enttäuscht. Er glaubt nicht, dass die richtigen Personen getroffen werden und hält die westlichen Sanktionen gegen Einzelpersonen allesamt für zu lasch.

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„Der größte Teil des Reichtums in Russland gehört einer sehr kleinen Gruppe von Leuten und wir wissen, wer das ist“, sagt Bullough. Er fordert, auch das Vermögen von Familienmitgliedern einschlägiger Oligarchen einzufrieren.