Berlin. Scholz richtet sich in einer TV-Ansprache an die Bevölkerung. Darin begründet er die Hilfe für die Ukraine mit Deutschlands Geschichte.

Deutschlands Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland ist für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Lehre aus den deutschen NS-Verbrechen und dem Zweiten Weltkrieg. „Sie lautet: Nie wieder!“, sagte Scholz am Sonntag in einer Fernsehansprache. „Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft.“ In der gegenwärtigen Lage könne dies nur bedeuten: „Wir verteidigen Recht und Freiheit – an der Seite der Angegriffenen. Wir unterstützen die Ukraine im Kampf gegen den Aggressor“, fuhr der Sozialdemokrat fort.

„Das nicht zu tun, hieße zu kapitulieren vor blanker Gewalt – und den Aggressor zu bestärken. Wir helfen, damit die Gewalt ein Ende finden kann.“ Scholz äußerte anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa vor 77 Jahren. Russland feiert den sowjetischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland am 9. Mai. Das Gedenken steht in diesem Jahr im Schatten des russischen Angriffs auf die Ukraine. „Für mich ist dies ein 8. Mai wie kein anderer“, sagte der Kanzler.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) legt einen Kranz am Grabmal des Unbekannten in Kiew Soldaten nieder.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) legt einen Kranz am Grabmal des Unbekannten in Kiew Soldaten nieder. © dpa | Andreas Stein

Scholz: Russland hat diesen Krieg entfesselt

„Es herrscht wieder Krieg in Europa. Russland hat diesen Krieg entfesselt.“ Es sei schmerzhaft zu erleben, wie „erneut rohe Gewalt das Recht“ breche mitten in Europa. „Wie Russlands Armee in der Ukraine Männer, Frauen und Kinder umbringt, Städte in Schutt und Asche legt, ja selbst Flüchtende angreift.“

Der Kanzler erinnerte daran, dass Russen und Ukrainer gemeinsam gegen den „mörderischen Nationalsozialismus“ gekämpft hätten. Deutschland habe damals ein „Menschheitsverbrechen“ begangen und sich an beiden Nationen schuldig gemacht. „Mit beiden streben wir seit Jahrzehnten nach Aussöhnung. Nun jedoch will Russlands Präsident Putin die Ukraine unterwerfen, ihre Kultur und ihre Identität vernichten.“ Dass Putin seinen „barbarischen Angriffskrieg“ mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus gleichsetze, sei „geschichtsverfälschend und infam“.

Scholz betonte, dass der militärische Sieg der Alliierten gewesen sei, der der NS-Diktatur ein Ende gesetzt habe. Die Bundesregierung unterstützt die Ukraine im Kampf gegen die russischen Truppen auch mit Waffen. Diese nach Kriegsbeginn getroffene Entscheidung bedeutet eine Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik: Zuvor galt der Grundsatz, keine deutschen Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern.

Angst vor Eskalation des Konflikts mit der Atommacht Russland

Die Politik der Bundesregierung rief in den vergangenen Wochen heftige Diskussionen hervor. Während einige Kritiker Scholz vorwarfen, die Ukraine zu zögerlich zu helfen, warnten andere Stimmen vor einer Eskalation des Konflikts mit der Atommacht Russland.

Scholz ging in seiner Ansprache auf die teils heftig geführten Debatten ein: „Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr diese Entscheidungen viele von Ihnen bewegen. Schließlich geht es buchstäblich um Krieg und Frieden.“ Die Regierung stelle sich „Tag für Tag“ der Aufgabe, die historische Verantwortung Deutschlands mit der maximalen Solidarität mit der Ukraine und der eigenen Sicherheit in Einklang zu bringen.

„Dass wir als Land über Fragen solcher Tragweite intensiv miteinander diskutieren, ist gut und legitim“, sagte der Kanzler. Zur Demokratie gehöre es aber, solche Kontroversen in Respekt und gegenseitiger Achtung zu führen.

Köln: Ein pro-russischer Autokorso mit rund 1000 angemeldeten Teilnehmern.
Köln: Ein pro-russischer Autokorso mit rund 1000 angemeldeten Teilnehmern. © dpa | Thomas Banneyer

Scholz: Angst darf uns nicht lähmen

Der Kanzler nahm auch Bezug auf Ängste in der Bevölkerung angesichts der Konfrontation mit Russland. „Aus vielen Äußerungen, die ich dieser Tage höre, spricht ernste Sorge. Sorge auch davor, dass sich der Krieg ausweitet, dass der Frieden auch bei uns in Gefahr geraten könnte“, sagte Scholz. „Solche Sorgen müssen ausgesprochen werden können. Gleichzeitig gilt: Angst darf uns nicht lähmen.“

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Der zuletzt wegen seiner Kommunikation zur deutschen Linie in dem Konflikt in die Kritik geratene Kanzler betonte in seiner zweiten Fernsehansprache seit Kriegsbeginn noch einmal, dass er seine Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine mit Vorsicht abwägen wolle. Deutschland tue viel, um Recht und Freiheit zu verteidigen. „Und zugleich tun wir nicht einfach alles, was der eine oder die andere gerade fordert. Denn: Ich habe in meinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“, sagte Scholz. „Dazu zählt, unser Land und unsere Verbündeten vor Gefahren zu schützen.“

Kanzler: Nato darf keine Kriegspartei werden

Scholz versicherte: „Wir werden keine Entscheidung treffen, die die Nato Kriegspartei werden lässt. Dabei bleibt es!“ Denn: „Dass es keinen Weltkrieg mehr geben soll – erst recht keinen zwischen Nuklearmächten – auch das ist eine Lehre des 8. Mai“, fügte der Kanzler hinzu. Ein baldiges Ende des Krieges in Osteuropa stellte der Kanzler nicht in Aussicht: „Ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, wann und auf welche Weise Russlands grausamer Krieg gegen die Ukraine enden wird.“

Einen russischen Diktatfrieden dürfe es aber nicht geben. „Freiheit und Sicherheit werden siegen – so wie Freiheit und Sicherheit vor 77 Jahren über Unfreiheit, Gewalt und Diktatur triumphiert haben“, zeigte Scholz sich überzeugt. „Dazu nach Kräften beizutragen, das bedeutet heute ‚Nie wieder‘. Darin liegt das Vermächtnis des 8. Mai“, schloss der Kanzler seine Rede.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.