Berlin. Vor der Reise des Kanzlers nach China warnt die deutsche Wirtschaft vor einer radikalen Abkehr. Die Bedeutung des Landes sei zu groß.

Vor dem China-Besuch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) warnt die deutsche Wirtschaft davor, sich von dem Land abzuwenden. „Die Antwort auf die Krisen unserer Zeit kann und darf keine Abkehr von der Globalisierung und der internationalen Kooperation sein“, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, unserer Redaktion.

Eine Entkopplung von China sei „nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geostrategisch falsch“. Müller betonte: „Natürlich müssen wir Abhängigkeiten abbauen, das bedeutet aber nicht, sich abzuwenden.“

Derzeit wird mit Blick auf China darüber diskutiert, wie gefährlich eine wirtschaftliche Abhängigkeit von dem Land ist. Hintergrund ist die aktuelle Energiekrise aufgrund der gestoppten Lieferungen von Gas und Öl aus Russland. In der Regierung warnen besonders die Grünen davor, solche Fehler im Fall China zu wiederholen.

Kritik rief in der Koalition die Entscheidung von Scholz hervor, eine Minderheitsbeteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens zu erlauben.

Chinas Bedeutung für die deutsche Autobranche ist enorm

Müller wies auf die Rolle Chinas für die Automobilbranche hin. „China ist inzwischen der größte Automobilmarkt und -produzent weltweit“, sagte die VDA-Präsidentin. „Der chinesische Markt hat eine sehr große Bedeutung – nicht nur für die deutsche Automobilindustrie.“ Das aktuelle Geschäft mit China sichere in Deutschland viele Arbeitsplätze. „China versorgt uns aktuell mit wichtigen Rohstoffen, die wir selbst nicht besitzen und auch nicht über alternative Handelsabkommen sichergestellt haben.“

Für die deutsche Automobilindustrie hat China eine große Bedeutung.
Für die deutsche Automobilindustrie hat China eine große Bedeutung. © dpa | Jan Woitas

Müller forderte, Deutschland müsse besser auf geopolitische Veränderungen reagieren: „Wir brauchen mehr Gespräche zwischen Ländern und Regionen – und wir brauchen jetzt mehr Rohstoff-, mehr Energie und mehr Handels- und Investitionsabkommen.“

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Mittelstandsverbandes BVMW, Markus Jerger. Als Exportnation brauche Deutschland Abkommen mit Regionen, „in denen die deutsche Wirtschaft noch nicht ausreichend etabliert ist und wo sich andere bereits Märkte, Rechte und Ressourcen sichern“.

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Mittelstandsverband: „Kein chinesisches Porzellan zerschlagen“

China bleibe aber auf absehbare Zeit einer der wichtigsten Handelspartner des exportorientierten deutschen Mittelstandes. „Diese Stellung ohne eine passende Alternative von jetzt auf gleich zu riskieren, wäre töricht und in der jetzigen wirtschaftlichen Situation Deutschlands auch nicht förderlich“, sagte Jerger unserer Redaktion. „Daher kann der Rat nur sein, jetzt kein chinesisches Porzellan zu zerschlagen.“

Grünen-Chef verlangt deutlichere Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen

Grünen-Chef Omid Nouripour forderte einen Kurswechsel in der deutschen China-Politik. „Unsere Chinastrategie muss sich den neuen Realitäten der Zeitenwende anpassen“, sagte er dieser Redaktion. „Neben dem notwendigen wirtschaftlichen Austausch braucht es eine deutlichere Verurteilung der Einschränkung von Menschenrechten und eine Strategie, wie die Abhängigkeiten in kritischen Bereichen verringert werden können."

Nouripour erinnerte an den Koalitionsvertrag der Ampel, wonach eine umfassende China-Strategie in Deutschland eingebettet sein müsse in eine gemeinsame EU-China-Politik. „Das erfordert ein Umdenken in der Auseinandersetzung mit dem Wettbewerber und strategischen Rivalen China“, betonte er.

Der Grünen-Chef lobte die Ankündigung von Scholz, die Menschenrechtslage bei seinem Besuch in China anzusprechen. „Das ist richtig und bestätigt unsere im Koalitionsvertrag festgeschriebene Vereinbarung, die Kooperation mit China auf Grundlage der Menschenrechte und des geltenden internationalen Rechts auszugestalten.“ Zur Unterfütterung dieser Vereinbarung hätte er sich allerdings gewünscht, dass in die Delegation des Kanzlers neben Wirtschaftsvertretern auch Personen und Organisationen aufgenommen worden wären, die mit einem Einreiseverbot belegt worden sind.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.