Berlin. Endspurt um den SPD-Vorsitz: Die Mitglieder dürfen über ihre neuen Chefs abstimmen. Vier Duos gelten als Favoriten. Ein Überblick.

Fast sechs Wochen lang sind sie durchs Land gefahren, haben sich von Saarbrücken bis Neubrandenburg den Genossen gezeigt: Auf den ersten Blick hat das SPD-Kandidatencasting auf 23 Regionalkonferenzen der Partei noch nicht viel gebracht.

Die Umfragen sind weiterhin miserabel, und die Hoffnung der Sozialdemokraten, ein strahlend-charismatisches Führungsduo wie Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen zu finden, ist bislang ebenfalls nicht aufgegangen. Doch im Willy-Brandt-Haus geben sie sich trotzdem zufrieden – die Veranstaltungsreihe habe die Partei belebt.

Jetzt hat die Basis das Wort. An diesem Montag beginnt die Abstimmung über die neue Doppelspitze. Jedes SPD-Mitglied darf seine Stimme abgeben. Ein Überblick.

Wahl zum SPD-Vorsitz: Das ist der Zeitplan

425.630 Mitglieder können bis zum 25. Oktober ihr Duo wählen, mehr als 130.000 haben sich allein für die Online-Abstimmung registriert. Formal muss zwar ein Parteitag den neuen Vorstand wählen, die Delegierten sollen sich aber an das Votum der Basis halten. Das Ergebnis soll am 26. Oktober vorliegen.

Wird ein Duo im Rennen besonders gut abschneiden?

Wenn ja, ist das bisher nicht sichtbar. Beobachter gehen nach den Auftritten der Kandidaten auf den Regionalkonferenzen davon aus, dass kein Duo mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält. Dann gäbe es eine Stichwahl mit Ergebnis am 30. November.

Sollte es so kommen, wäre mitentscheidend, ob und welche Wahlempfehlung die unterlegenen Kandidaten aussprechen. Generalsekretär Lars Klingbeil hat bereits – sozusagen prophylaktisch – betont, alle Kandidaten hätten ihm ein Versprechen gegeben: „Wenn sie nicht gewinnen, dann werden sie sich einreihen, dann werden sie das Siegerteam unterstützen.“

Wann findet der entscheidende Parteitag statt?

Der entscheidende Parteitag findet vom 6. bis 8. Dezember in Berlin statt. Theoretisch könnten sich dort spontan noch weitere Kandidaten für den Parteivorsitz bewerben – Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann (38) hat einen solchen Versuch angekündigt. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass er genügend Delegierte für sich gewinnen kann, um antreten zu dürfen.

Wer sind denn die Favoriten?

Eindeutige Favoriten haben sich bei den Regionalkonferenzen nicht herauskristallisiert. Vier Paaren geben Beobachter aber besonders gute Chancen. Dazu gehören Vizekanzler Olaf Scholz (61) und seine weithin unbekannte Brandenburger Partnerin Klara Geywitz (43), die schon allein wegen Scholz’ Bekanntheit Stimmen einheimsen werden.

Doch Scholz bläst der Wind auch kräftig ins Gesicht. Wie könne jemand glaubwürdig seine Kandidatur erklären, „der uns in dieses Tal der Tränen geführt hat“, wurde er in Saarbrücken gefragt. Der Finanzminister gab sich gewohnt zurückhaltend, überließ oft Geywitz das Reden. Wie kein anderes Team stehen beide für eine Fortsetzung der großen Koalition.

Scholz’ Problem: Er steht nicht gerade für Erneuerung. Zudem nehmen ihm einige übel, dass der Vizekanzler und Bundesfinanzminister das Amt des SPD-Vorsitzenden erst zeitlich nicht mit seiner Regierungsarbeit vereinbar hielt, dann aber doch seine Kandidatur erklärte.

Wer will den alles den SPD-Vorsitz?

Viele der anderen Namen haben die SPD-Mitglieder beim Casting dagegen wohl zum ersten Mal gehört. Als eine Art Anti-Scholz präsentiert sich der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (67). Zusammen mit der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Saskia Esken (58) tritt er für höhere Steuern für Reiche ein. Auch deshalb gilt das Duo als Favorit der Partei-Linken.

„Nowabo“, wie Walter-Borjans in sozialen Netzwerken heißt, wird auch von den Jusos und ihrem Chef Kevin Kühnert (30) sowie vom mitgliederstarken Landesverband NRW unterstützt. Seine Befürworter halten Nowabo für einen modernen „Robin Hood“. Als Landesminister kaufte er gestohlene Steuerdaten-CDs und machte Jagd auf Steuersünder.

Mehr noch für einen Neuanfang stünden die NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann (39) und Europa-Staatsminister Michael Roth (49). Sie präsentieren sich jung und dynamisch, wollen Verkrustungen in der Partei aufbrechen und wären eine Spitze ohne Abnutzungserscheinungen. Das kommt bei vielen gut an – doch zugleich polarisiert kaum ein Duo so sehr wie dieses mit seinem erkennbaren Willen zur Show.

Kampmann und Roth wollen den „echten Aufbruch“ wagen. Die Ostwestfälin ist genervt von häufigen Vergleichen mit dem Führungsteam der Grünen, Annalena Baerbock (38) und Robert Habeck (50).

Und dann sind da noch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (59) und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (61). Für sie trommeln vor allem Funktionäre, sie versprechen „keine Traumtänzereien“. Bei den Konferenzen enttäuschte Pistorius die hohen Erwartungen aber eher. Köpping kam vor allem im Osten an.

Wer sind die Außenseiter?

Hoffnungen machen sich auch Parteivize Ralf Stegner (60) und seine Mitstreiterin Gesine Schwan (76). Kaum einer hatte erwartet, dass sich dieses Duo auf dem Podium so viele Sympathien erarbeiten würde – zumal Stegner auch in seiner Partei als notorischer Miesepeter gilt. Doch damit spielt der Norddeutsche gekonnt, das Paar mischt Selbstironie mit knallharten sozialpolitischen Forderungen.

Politische Extrempositionen scheinen im Kandidatenrennen eher zu schaden – das spüren die Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach (56) und Nina Scheer (48), die den Groko-Ausstieg deutlicher als alle anderen fordern. In München bekamen sie zum Abschluss der Regionalkonferenzen immerhin viel Applaus, gilt doch die Bayern-SPD als eher linker Landesverband. Profitieren die beiden am Ende vom Rückzug von Hilde Mattheis (64) und Dierk Hirschel (48)? Die Parteilinke und der Verdi-Chefökonom hatten am Samstag ihren Rückzug erklärt, um die Chancen eines anderen linken Teams zu erhöhen.

Was bedeutet die Wahl für die GroKo?

Die SPD-Vorsitz-Suche gilt vielen als Vorentscheidung für die Zukunft der großen Koalition. Nur schwer, heißt es, dürfte der Parteitag im Dezember für einen Verbleib in der GroKo stimmen können, wenn das neue Führungsduo lieber aussteigen will – oder auch umgekehrt.

Lediglich wenige Kandidaten haben klar gesagt, dass sie raus wollen aus der Koalition, vor allem niemand von den Favoriten. In dieser Frage äußert man sich diplomatisch offen: Die Halbzeitbilanz in diesem Herbst werde zeigen, ob die SPD in der Koalition noch etwas erreichen könne oder nicht. (Joe/dpa)