Mailand. Bei seiner ersten Auslandsreise in Corona-Zeiten trifft der Bundespräsident in Italien Patienten, die in Deutschland gerettet wurden.

Felice Perani kämpft mit den Tränen. „Ich verdanke Deutschland, dass ich noch lebe“, sagt der schmächtige Mann mit den grauen Haaren aus einer Kleinstadt in der Lombardei. Mitte März, als die Corona-Pandemie Italien mit voller Wucht traf, kämpfte der 57-Jährige in einer Klinik in Bergamo ums Überleben. Dann wurde er zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. Nach 15 Tagen im Koma mit künstlicher Beatmung hatte er es geschafft.

Jetzt bekam Perani die Gelegenheit, sich persönlich beim Bundespräsidenten dafür zu bedanken, dass Ärzte und Krankenschwestern in der Uniklinik Leipzig im März sein Leben retteten. Gemeinsam mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella traf Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag im Königlichen Palast im Herzen Mailands einigefrühere italienische Corona-Patienten und Ärzte. Es ist der erste offizielle Auslandsbesuch von Steinmeier unter Corona-Bedingungen.

Der Bundespräsident, begleitet von seiner Ehefrau Elke Büdenbender, entschied sich bewusst für Norditalien, wo Corona im Frühjahr besonders heftig wütete und Tausende starben. Die Fotos von Militärlastwagen, die in Bergamo Leichen abtransportierten, gingen um die Welt. „Die Bilder und Nachrichten haben in Deutschland kein Herz kaltgelassen“, sagte Steinmeier angesichts von mehr als 35.000 Toten.

Mattarella lobt deutsche Kehrtwende in der Europapolitik

Italiens Staatsoberhaupt Mattarella dankte Steinmeier dafür, dass Deutschland mit einer „regelrechten Luftbrücke“ mehr als 40 Patienten in deutschen Kliniken versorgt habe. Daneben liefen viele Hilfs- und Spendenaktionen auf kommunaler Ebene. Es gibt fast 400 deutsch-italienische Städtepartnerschaften.

Steinmeier und Mattarella gaben in Mailand bekannt, dass sie einen neuen Preis für herausragende kommunale Zusammenarbeit zwischen Städten und Gemeinden beider Länder stiften. Der mit 200.000 Euro dotierte Preis wird von beiden Regierungen gemeinsam finanziert. Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe, sagte, die Krise habe viel Leid, aber auch Chancen gebracht. So müssten Kommunen europaweit stärker bei Klimaschutz und der Flüchtlingsfrage zusammenarbeiten.

Mailand am Donnerstag: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.li.) und seine Frau Elke Büdenbender (li.) stehen zusammen mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella und seiner Tochter Laura Mattarella (re.) im Königlichen Palast.
Mailand am Donnerstag: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.li.) und seine Frau Elke Büdenbender (li.) stehen zusammen mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella und seiner Tochter Laura Mattarella (re.) im Königlichen Palast. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Fast überschwänglich hob Mattarella die deutsche Kehrtwende in der Europapolitik hervor. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron den Anstoß für den 750 Milliarden Euro schweren europäischen Wiederaufbaufonds gegeben. Erstmals nimmt die EU gemeinsam Schulden auf, um die Krise zu überwinden und gewaltige Investitionen anzuschieben.

In der Euro-Staatsschuldenkrise hatte Merkel als „Madame Non“ eine gemeinsame Schuldenaufnahme stets zurückgewiesen und Hilfen für den hoch verschuldeten Süden stets mit der Auflage harter Strukturreformen verbunden. Seit der Einigung über den Wiederaufbaufonds, aus dem Italien 80 Milliarden Euro als Zuschüsse und 127 Milliarden Euro als Kredite erhalten soll, hat sich der Blick auf Deutschland ein Stück weit gewandelt.

Steinmeier sagte, viele Zweifler und Skeptiker hätten Europa einen so mutigen Beschluss nicht zugetraut. „Ich bin mir sicher, das war und ist ein ganz wichtiger Baustein, um die ökonomischen Konsequenzen der Krise hinter uns zu lassen.“ Nun sollte die EU in der Flüchtlingspolitik und bei Hilfen für Griechenland ähnlich viel Courage zeigen wie beim Wiederaufbaufonds.

Rechte Lega hofft in vielen Regionen Italiens auf ein Comeback

Offen ist, ob das in Italien gestiegene Ansehen Europas die Rechtspopulisten dauerhaft zurückdrängen kann. Eine erste Antwort darauf werden am Wochenende eine Reihe von Regional- und Kommunalwahlen geben. Die während der ersten Corona-Welle in Umfragen abgerutschte rechte Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini hofft in vielen Regionen auf ein Comeback und in der linken Hochburg Toskana auf einen Sieg. Die Lega tritt in einem Mitte-rechts-Bündnis an, dem auch die rechtsnationale Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) angehört. Deren Star ist Parteichefin Giorgia Meloni, die Salvini mehr und mehr in den Schatten stellen könnte. Wie stabil Italien unter Führung von Ministerpräsident Giuseppe Conte bleibt, hängt auch vom weiteren Corona-Krisenmanagement ab.

In Italien steigen die Infektionszahlen wieder, allerdings nicht so stark wie in Deutschland. Ein Großteil der 8,5 Millionen italienischen Schüler kehrte in diesen Tagen in ihre Klassen zurück. Sechs Monate hatten sie zu Hause bleiben müssen. Jetzt gelten strenge Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Außerhalb des Unterrichts und in Klassenräumen, wo kein Abstand gehalten werden kann, müssen Schüler über sechs Jahren Maske tragen. Eltern sollen jeden Morgen Fieber messen.

Felice Perani hat das Grauen hinter sich. An den Moment, als er in Leipzig, allein, ohne seine Familie, aufwachte, wird er sich für immer erinnern. „Überall waren Menschen mit Masken. Sie haben mich wie einen Sohn, wie einen Bruder behandelt.“ Deutschland sei für ihn jetzt eine zweite Heimat.