Berlin. Im Dauerstress ist die Altenpflege in Deutschland schon lange. Corona verschärft die Lage. Doch einen Hoffnungsschimmer gibt es.

Mitten im Corona-Stress können Deutschlands Altenpflegerinnen und -pfleger auf bundesweit einheitliche und meist höhere Bezahlung hoffen.

Im neuen Jahr schlage die "Stunde der Wahrheit", sagte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Nach monatelangen Vorbereitungen stünden die letzten Schritte für einen bundesweit geltenden Tarifvertrag Altenpflege an. Druck auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kam vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

"Wenn die Konzertierte Aktion Pflege der Bundesregierung nicht verpuffen soll, muss Bundesgesundheitsminister Spahn endlich auf die Tube drücken", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der dpa. Mit der Aktion hatten mehrere Bundesministerien den Kampf gegen den Personalnotstand in der Altenpflege begonnen. Piel forderte, die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Es drohe "Zusammenbruch des Pflegesystems".

MINDESTLOHN UND GEPLANTES EINKOMMEN:

Der bereits ausgehandelte, aber noch nicht wirksame Tarifvertrag Altenpflege sieht eine Erhöhung der Einkommen bis auf 18,50 Euro für examinierte Altenpflegekräfte ab Januar 2023 vor. Verdi hatte den Abschluss im September mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche geschlossen. Bisher bestehen in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte, die bis September auf einheitlich 12,55 Euro pro Stunde steigen sollen. Ab Juli sollen Pflegefachkräfte mindestens 15 Euro bekommen.

DIE WEITEREN SCHRITTE:

Am Zug sind derzeit die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und des Caritasverbandes. Diakonie und Caritas betreiben viele Pflegeheime. In den Kommissionen sind jeweils Dienstgeber und Dienstnehmer vertreten, was Arbeitgebern und -nehmern entspricht. Dort laufen derzeit Verhandlungen. Diakonie und Caritas wollten sich am Mittwoch in Berlin aber nicht zu der Frage äußern, bis wann diese Beratungen abgeschlossen sind. Auch inhaltlich wollte man sich dort auf Anfrage wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zuletzt im November bekräftigt, einen Tarifvertrag Pflege auf ganz Deutschland erstrecken zu wollen, wenn ein Antrag vorgelegt werde und Voraussetzungen erfüllt seien. Heil: "Eine Einigung ist in Reichweite." Die privaten Pflegeheimträger und Betreiber von Pflegediensten wehren sich vehement gegen einen solchen Tarifvertrag. Sie sprechen es dem relativ kleinen Verband, mit dem Verdi verhandelt hatte, ab, für die Branche sprechen zu können.

Werneke sagte, die private Pflegelobby laufe Sturm gegen eine Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit. "Die Regierung muss also Farbe bekennen", sagte er. Das gelte auch für Gesundheitsminister Spahn. "Und sie muss handeln."

SITUATION DER ALTENPFLEGE:

Die Situation vieler Beschäftigten in der Altenpflege ist seit Jahren wegen Überlastung, Personalmangels, steigender Ansprüche und fehlender Wertschätzung angespannt. Spahn hatte bereits im vergangenen Jahr eingeräumt, dass die Lage unzureichend sei - und durch die Corona-Pandemie weiter verschärft werde. Im November waren Eckpunkte Spahns für eine Pflegereform durchgesickert - unter anderem mit dem Vorhaben: "Die Entlohnung entsprechend Tarif für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen soll künftig Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung werden." Piel forderte die Umsetzung.

FINANZEN DER PFLEGEVERSICHERUNG:

Seit 2019 stehen zwar zusätzliche Mittel der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung für 13.000 neue Stellen für medizinische Behandlungspflege in Altenheimen bereit. Pflegeverbände hatten das angesichts einer viel größeren Zahl an fehlenden Pflegekräften aber als viel zu wenig kritisiert. Doch nur ein Bruchteil der finanzierten Stellen konnte bisher besetzt werden.

Bei der Finanzierung der Pflege droht unterdessen ein neues Milliardenloch. So steht die Pflegeversicherung in diesem Jahr vor einem Defizit von 2,5 Milliarden Euro. Der GKV-Spitzenverband prognostiziert Einnahmen von 50,3 Milliarden und Ausgaben von 52,8 Milliarden Euro für dieses Jahr, wie der Verband der dpa mitteilte. Das "Handelsblatt" hatte zuerst darüber berichtet. Verbandsvize Gernot Kiefer sagte der dpa: "Sofern sich die Konjunktur bis zur Jahresmitte erholt, bin ich optimistisch, dass wir in diesem Jahr knapp an einer Beitragserhöhung vorbeikommen." Er forderte einen "nennenswerten Steuerzuschuss" für die Pflege ab kommendem Jahr. Piel verlangte eine Pflegebürgerversicherung, "die alle pflegerischen Kosten abdeckt, um das Armutsrisiko Pflegebedürftigkeit endlich wirksam und langfristig zu bekämpfen".

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