Brüssel. Die EU-Kommissarin Stella Kyriakides stellt die gesamte Erzeugung von Nahrungsmitteln auf den Prüfstand – auch wegen des Klimawandels.
Nach dem Startschuss für eine Klimaschutz-Wende in Europa nimmt die EU-Kommission die ersten großen Baustellen ins Visier. Massive Veränderungen stehen rund um unser Essen bevor: Weniger Chemie auf dem Acker, weniger weggeworfene Lebensmittel, bessere Verbraucherinformationen, gesunde Ernährung – so skizziert die zuständige EU-Kommisssarin Stella Kyriakides die Herausforderungen.
„Geschätzt elf Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU stammen aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelerzeugung – da ist „Business as usual“ keine Option mehr“, sagt Kyriakides, die in ihrem neuen Amt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verantwortlich ist, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Klimawandel: EU zum Handeln gezwungen
Vor einem Besuch der Grünen Woche in Berlin fordert sie: Damit Europa 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werde, „müssen wir einen neuen, gesünderen, gerechteren und nachhaltigeren Ansatz für Produktion und Konsum einführen.“
Eisbären leiden unter dem Klimawandel
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Die Kommission will dazu im Frühjahr ein ehrgeiziges Konzept vorlegen, das sich „Farm-to-Fork-Strategie“ (von der Farm bis zur Gabel) nennt. Dies sei „einer der Schlüsselbausteine des Europäischen Green Deal“, sagt die 63-Jährige Zypriotin, für die Umsetzung ist sie zuständig.
Praktisch alles kommt auf den Prüfstand: „Ziel ist es, jeden Schritt der Lebensmittelkette von der Herstellung, Lagerung, Verarbeitung und Verpackung bis zur Verteilung, Vermarktung, Verzehr und Entsorgung zu berücksichtigen.“
Auch um mehr Verbraucherinformationen wird es dann gehen. So will die Kommissarin untersuchen lassen, welche der von EU-Staaten eingeführten freiwilligen Nährwertkennzeichnungen auf Verpackungen sich bewährt haben; ob es eine EU-weite Regelung geben wird, ist noch offen.
Und auch dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Transparenz und klareren Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln will sie Rechnung tragen, die Prüfung läuft. „Es geht nicht nur ums Klima“, stellt Kyriakides fest. „Unsere kollektive Gesundheit hängt von der Gesundheit unseres Planeten ab.“
Aber heißt das für die Konsumenten am Ende auch höhere Lebensmittelpreise, kein Fleisch mehr und nur noch regionale Produkte? „Es ist klar, dass wir die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, ändern müssen, daran führt kein Weg vorbei“, antwortet Kyriakides. „Unser Ziel ist es, die Sicherheit, Qualität und Erschwinglichkeit von Lebensmitteln nicht zu beeinträchtigen.“ Auch interessant: So isst man gesund – ohne dem Klima zu schaden.
Kyriakides hat ehrgeizige Ziele, um Pestizid-zu verringern
Schon jetzt sei klar, „dass die Unterstützung von Landwirten und kleinen Lebensmittelproduzenten in der EU ein wichtiger Bestandteil der Strategie sein wird.“ Der Übergang müsse für alle „gerecht und fair“ sein.
Der Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie als integraler Bestandteil „werden niemanden zurücklassen“, verspricht sie. Neben finanzieller Unterstützung setzt die Kommissarin auch auf Innovation und Forschung.
Und sie ist bemüht, alle Akteure einzubeziehen. Beispiel Chemie auf dem Acker: „Ich möchte ehrgeizige Ziele für Pestizide vorschlagen“, sagt die Kommissarin, die sich als Gesundheitspolitikerin einen Namen gemacht hat. „In Anbetracht ihrer Rolle möchte ich, dass die Landwirte ein großes Mitspracherecht darüber haben, wie sie am besten vorgehen sollten.“
Ab 2023 müssen die EU-Staaten die Abfallmengen überwachen
Pläne der Kommission sahen vor, den Pestizid-Einsatz bis 2030 um 50 Prozent zu verringern; ob dies tatsächlich auch die Zielmarke der neuen Strategie wird, dazu äußert sich Kyriakides nicht. Sie betont, die Entwicklung und Verwendung alternativer Pflanzenschutzmittel solle gefördert, neue Technologien in den Blick genommen werden.
Klare Vorstellungen hat die Kommissarin für den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung: „Es ist inakzeptabel, dass wir etwa 20 Prozent der produzierten Lebensmittel wegwerfen, während sich Millionen von Bürgern eine anständige Mahlzeit nicht leisten können. Aber das passiert jeden Tag“, klagt sie. „Unser Ziel ist klar: Die Lebensmittelverschwendung soll bis 2030 halbiert werden.“
Die Farm-to-Fork-Strategie werde Teil der europäischen Antwort sein.
- Ab 2023 müssen die Mitgliedstaaten die Lebensmittelabfallmengen überwachen und darüber Berichte vorlegen.
- Die könnten Grundlage für neue Auflagen sein.
- Kyriakides zeigt sich entschlossen: Wenn es möglich sei, werde sie sich nicht scheuen, „realistische Ziele für Lebensmittelabfälle EU-weit festzulegen.“
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