Berlin. Der Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies zeigt, wie gefährlich die Pandemie nach wie vor ist. Und das nicht nur in NRW.

Es tat so gut vor einigen Wochen, als die ersten Lockerungen losgingen. Ein wenig Schule für die Kinder, ein Ausflug an die Ostsee, der Besuch der Oma im Altersheim, geöffnete Krankenhäuser, Pizza beim Lieblingsitaliener. Corona verlor rund um Pfingsten ein wenig den Schrecken. Wird schon wieder, spätestens nach den Sommerferien geht es wieder voll los, wenn wir alle schwärmen, wie schön der Urlaub in der Uckermark oder im Allgäu war. Der ein oder die andere wird sich auch nach Südtirol vorgewagt haben oder gar an die Adria.

So wie es aussieht, wird das für die Bewohnerinnen und Bewohner rund um Gütersloh nichts. Sie werden zurückgeschleudert in den April, als Kinder und Eltern tagaus, tagein zu Hause aufeinander hockten. Durch den massiven Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies, wo mehr als 1500 Mitarbeiter mittlerweile positiv getestet wurden, wo Kinder betroffen sind und auch Werksarbeiter anderer Firmen, sind sie nicht mehr gern gesehen als Urlaubsgäste. Von Usedom wurden bereits erste Urlauber aus Gütersloh vertrieben, Bayern hat gar ein Beherbergungsverbot erlassen, und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach rät den Ostwestfalen ab, sich ohne negatives Testergebnis auf in den Urlaub zu machen.

Natürlich ist der Ausbruch in der Fleischfabrik ein Skandal. Wie leicht sich das Virus gerade in den gekühlten Räumen der Schweinezerlegung verbreitet, war nach massiven Ausbrüchen in ähnlichen Betrieben der USA längst bekannt. Noch nicht einmal eine hohe Zahl von Corona-Infektionen beim Tönnies-Konkurrenten Westfleisch führte zu erhöhter Vorsicht, im Gegenteil: Firmenchef Clemens Tönnies wehrte sich noch vor vier Wochen mit großer Arroganz gegen einen Generalverdacht gegenüber der Fleischindustrie.

Corona-Lage in Deutschland ist nach wie vor fragil

Abgesehen von den schweren Verfehlungen der Firma und den mitunter menschenverachtenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werkarbeiter: Gütersloh zeigt, wie fragil die Corona-Lage nach wie vor ist – und wie wichtig es ist, schnell darauf zu reagieren.

Politik-Korrespondentin Birgitta Stauber kommentiert den erneuten Lockdown in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf.
Politik-Korrespondentin Birgitta Stauber kommentiert den erneuten Lockdown in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf. © Krauthoefer | Krauthoefer

Überall in Deutschland flammt die Pandemie immer wieder punktuell auf: hier ein Wohnblock, dort ein Altenheim, dann eine Kirchengemeinde. Der Reproduktionsfaktor R – also die Zahl der ­Ansteckungen, die auf einen Infizierten zurückgehen, ist wieder auf weit über zwei gestiegen. Zum Vergleich: Wochenlang haben wir es in Deutschland geschafft, ­R auf unter eins zu drücken.

Doch die Experten und auch die Politik haben Rückschläge erwartet – aus diesem Grund vereinbarten die Länder, Lockerungen zurückzunehmen, sollte die Zahl der Neuinfektionen auf über 50 pro 100.000 Einwohner steigen. Gütersloh hat den Grenzwert längst überschritten, und auch im benachbarten Kreis Warendorf lag die Zahl am Dienstag bei 68.

Trotz der dramatischen Entwicklung winden sich die Verantwortlichen, allen voran Ministerpräsident Armin Laschet. Es dauert Tage, bis überhaupt über einen erneuten Lockdown nachgedacht wird. Der Lockerungskönig zaudert und zögert, beschwichtigt und lenkt ab, als hätte es die große Krise, die mit dem Kreis Heinsberg ebenfalls in NRW begann, nicht gegeben. Als wären nicht knapp 200.000 Menschen in Deutschland erkrankt und 9000 gestorben. Als hätte Corona nicht die Wirtschaft lahmgelegt, Kindern die Schule genommen, Eltern den Job.

Es ist bitter, aber wenn Gütersloh nicht zum Beginn einer zweiten Welle mit allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen werden soll, muss in der Region wieder gelten: Flatten the curve, stay home. Die Kurve flach halten, den Anstieg der Neuinfektionen verhindern. Zu Hause bleiben.

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