Washington/Ottawa. Denkzettel für Justin Trudeau: Seine Liberalen bleiben nach der Wahl in Kanada stärkste Kraft, verlieren aber ihre absolute Mehrheit.

Sein Stern strahlt nicht mehr wie vor vier Jahren, ist aber auch nicht vollends erloschen. Bei den Parlamentswahlen in Kanada zeichnete sich am späten Montagabend (Ortszeit) ein süß-saurer Sieg für Premierminister Justin Trudeau und seine Liberale Partei ab.

Nach Prognosen des öffentlichen Fernsehsenders CBC und der Zeitung „Globe and Mail” bleiben die Liberalen stärkste Kraft im Parlament in Ottawa, haben aber ihre absolute Mehrheit von 184 Sitzen eingebüßt.

Gegen 5 Uhr deutscher Zeit hatten die Liberalen laut Prognosen in 145 der insgesamt 338 Wahlkreise die Nase vorn. Die Konservativen, der ernsthafteste Rivale, lagen zu diesem Zeitpunkt nur in rund 105 Wahlkreisen vorn.

Trudeau beschwört nach Wahl Einigkeit des Landes

Nach Bekanntwerden der ersten Prognosen beschwor Trudeau die Einigkeit des Landes beschworen. „Unser Team wird für alle Kanadier kämpfen“, sagte Trudeau am frühen Dienstagmorgen (Ortszeit) in Montréal.

An seine Kritiker gewandt meinte der 47-Jährige, er habe ihre Enttäuschung vernommen und werde sicherstellen, dass ihre Stimme gehört werde: „Wir werden zusammen vorwärts gehen in eine bessere Zukunft.“ Die liberale Regierung werde fortsetzen, was sie in den vergangenen vier Jahren begonnen habe. Dazu gehörten die Kämpfe gegen den Klimawandel und Waffengewalt.

Trudeau muss wohl Minderheitsregierung eingehen

Trudeau muss darum voraussichtlich mit einer der kleineren Parteien eine Minderheitsregierung eingehen. Als wahrscheinlichste Partner kommen nach Angaben von kanadischen Medien die „Neuen Demokraten” um ihren Anführer Jagmeet Singh oder die von Elizabeth May geleiteten Grünen in Betracht. Beide Parteien rangieren programmatisch deutlich links von Trudeaus Liberalen.

Sollte die Auszählung den Trend bestätigen, hätte Oppositionsführer Andrew Scheer von den Konservativen seine erklärtes Ziel nicht erreicht, Trudeau nach nur eine Wahlperiode aus dem Amt zu drängen.

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US-Präsident Donald Trump gratulierte Trudeau zum Ausgang der Wahl. Mit dem „hart erkämpften Sieg“ sei Kanada gut bedient. „Ich freue mich darauf, mit Ihnen an der Verbesserung unserer beiden Länder zu arbeiten“, schrieb Trump am Dienstagmorgen auf Twitter.

Trudeau galt vielen Wählern als das kleinere Übel

Andrew Scheer, Vorsitzender der Konservativen in Kanada, bei seiner Stimmabgabe am Montag.
Andrew Scheer, Vorsitzender der Konservativen in Kanada, bei seiner Stimmabgabe am Montag. © dpa | Jeff Mcintosh

Scheer (40), weniger charismatisch als der Amtsinhaber, hatte den 27 Millionen wahlberechtigten Kanadiern eine finanzpolitische Rosskur versprochen. Trudeau hingegen bestritt den Wahlkampf mit dem Ausbau sozialpolitischer Leistungen und der Konsolidierung einer CO2-Steuer als Instrument gegen den Klimawandel.

Für Trudeau ist der Wahlausgang ein heftiger Denkzettel. Nach mehreren Skandalen, die an der Glaubwürdigkeit des 47-Jährigen kratzten, widersprüchlichen Politikansätzen etwa im Umweltbereich und nicht eingehaltenen Versprechen verlor der Sohn des früheren Premierministers Pierre Trudeau massiv an Beliebtheit in der Bevölkerung. Er galt vielen Wählern nach Einschätzung von Analysten aber unter dem Strich als das kleinere Übel.