Ankara. Die Türkei geht gegen Kritiker von Präsident Erdogan vor. Für die Ergreifung hat sie Kopfgelder ausgesetzt. Wer steht auf der Liste?

Der Druck auf Gegner des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan wächst. Denn das türkische Innenministerium hat Belohnungen auf die Ergreifung prominenter Kritiker des Präsidenten ausgelobt. Die Gesuchten werden auf der sogenannten „Grauen Liste“ zur Fahndung ausgeschriebener Terroristen geführt. Unter ihnen sind ein US-Basketballstar mit türkischen Wurzeln und ein prominenter türkischer Journalist, der in Deutschland lebt. Lesen Sie auch: Ekrem Imamoglu – Wer ist Erdogans Angstgegner bei der kommenden Wahl?

Türkei setzt Kopfgeld auf Erdogan-Kritiker und Basketballstar Enes Kanter aus

In mehr als 800 Partien stand Enes Kanter in den vergangenen zwölf Jahren in der US-Basketball-Profiliga NBA auf dem Parkett. Aber jetzt kämpft der 30-Jährige den Kampf seines Lebens: Die Türkei hat ihn auf die „Graue Liste“ der steckbrieflich gesuchten Terroristen gesetzt und ein Kopfgeld für seine Ergreifung ausgelobt.

Wer zu Kanters Ergreifung beiträgt, bekommt vom türkischen Innenministerium eine Belohnung von 500.000 Lira – umgerechnet rund 24.400 Euro. „Ich bin entsetzt“, schreibt Kanter auf Instagram. Bisher sei vor allem der türkische Geheimdienst hinter ihm her gewesen, betonte der Sportler gegenüber der „New York Post“. Aber jetzt „wollen alle das Geld“, fürchtet der Sportstar und warnt: „Wenn mir etwas zustößt, trägt das Erdogan-Regime die Verantwortung.“

Die Türkei hat ein Kopfgeld auf Enes Kanter ausgesetzt.
Die Türkei hat ein Kopfgeld auf Enes Kanter ausgesetzt. © Jared Siskin/Patrick McMullan via Getty Images | Jared Siskin/Patrick McMullan via Getty Images

Kanter wurde in Zürich als Sohn türkischer Eltern geboren und wuchs im osttürkischen Van auf. 2011 ging der 2,11-Meter-Mann in die USA und begann bei den Utah Jazz seine Basketballkarriere. Kanter ist einer der schärfsten Kritiker des türkischen Staatschefs. Er bezeichnete ihn öffentlich als „Diktator“ und „Hitler unseres Jahrhunderts“. 2017 entzog ihm die Türkei die Staatsangehörigkeit, seit 2022 hat er einen US-amerikanischen Pass. Der Sportler ist ein bekennender Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der seit 1999 im Exil in den USA lebt. Das macht Kanter in Erdogans Augen zu einem „Terroristen“.

Die türkische Regierung sieht in Gülen den Drahtzieher des Putschversuchs von Juli 2016 und hat seine Bewegung zur „Terrororganisation“ erklärt. Gülen selbst steht auf der „Roten Liste“ der meistgesuchten Terroristen. Auf ihn hat das Innenministerium sogar ein Kopfgeld von umgerechnet 492.000 Euro ausgesetzt.

Diverse Journalisten auf türkischer Terror-Liste – auch Can Dündar

Doch Enes Kanter ist nicht der einzige, auf den das türkische Innenministerium jetzt ein Kopfgeld ausgesetzt hat. Auch der in Schweden lebende Exil-Journalist Bülent Kenes wird der Gülen-Bewegung zugerechnet. Erdogan höchstpersönlich verhalf Kenes zu weltweiter Bekanntheit, als er im November vergangenen Jahres in Ankara bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem schwedischen Premier Ulf Kristersson den Namen des Journalisten nannte.

Kristersson war in die türkische Hauptstadt gekommen, um für den Nato-Beitritt seines Landes zu werben, holte sich aber bei Erdogan eine Abfuhr: Ohne die „Deportation des Terroristen namens Bülent Kenes“ werde die Türkei der Aufnahme Schwedens in die Allianz nicht zustimmen, sagte Erdogan. Was Kenes für Erdogan zum „Terroristen“ macht: Er war Chefredakteur der inzwischen verbotenen englischsprachigen Zeitung „Today’s Zaman“, die als Gülen-nah galt.

Erdogans Scherge: Regierungsvertreter hetzte auch in Deutschland

Auf der Liste steht auch der prominente Journalist Can Dündar. Der frühere Chefredakteur der Erdogan-kritischen Zeitung „Cumhuriyet“ lebt seit 2016 in Deutschland. In seiner Heimst droht ihm eine langjährige Haftstrafe, weil er 2014 über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Milizen in Syrien berichtete. Mit Dündar stehen derzeit 15 weitere Journalisten auf der Terror-Fahndungsliste des türkischen Innenministeriums, unter ihnen der ebenfalls in Deutschland lebende Cevheri Güven.

Der im Exil lebende langjährige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, gilt in der Türkei nun als Top-Terrorist.
Der im Exil lebende langjährige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, gilt in der Türkei nun als Top-Terrorist. © Picture Alliance | Picture Alliance

Kopfgeld auf gesuchte Personen auszusetzen ist eine Methode wie aus einem Westernfilm“, sagt Christian Mihr, Deutschland-Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen. „Wir fordern den türkischen Staat auf, die Verfolgung von Dündar und Duzenden anderen Medienschaffenden endlich einzustellen.“ Die Fahndungsaufrufe fallen offenbar auf fruchtbaren Boden. Das zeigt der Auftritt des türkischen Regierungsabgeordneten Mustafa Acikgöz Mitte Januar in einer Moschee in Neuss. In seiner Rede vor Erdogan-Anhängern rief Acikgöz dazu auf, Gefolgsleute Gülens und der kurdischen PKK in Deutschland „aus ihren Löchern zu ziehen“ und zu „vernichten“.