Berlin. Chemiewaffen dürfte es nicht geben und werden weltweit geächtet. Im Ukrainekrieg wird ihr Einsatz befürchtet. Was sind es für Waffen?

Lang und grauenvoll ist die Geschichte von militärischem Giftgas. Eine Perversion des Krieges. Was in der Ukraine mit Blick auf die erwartete zweite Ost-Offensive der Russen befürchtet wird, reicht bis zum Ersten Weltkrieg zurück. Welche Arten von Chemiewaffen gibt es, wie werden sie eingesetzt? Ein Überblick.

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Nahe der belgischen Stadt Ypern setzte die deutsche Armee Chlorgas im April 1915 frei. Es zog als Gaswolke über die feindliche Stellungen. Da Chlorgas schwerer wiegt als Luft, sank es in die Schützengräben und überraschte die Soldaten. Etwa 1200 starben, an die 3000 überlebten verletzt, zumeist mit lebenslangen Folgen.

Ukraine-Krieg: Chemiewaffen - Die Ursünde des Ersten Weltkrieges

Es dauerte nicht lange und auch die Deutschen wurden Opfer von Giftgas. Mehr als 90.000 Soldaten wurden an allen Fronten des Ersten Weltkriegs durch Giftgas getötet, rund eine Million vergiftet. Eine furchtbare Entwicklung wurde damals in Gang gesetzt, die bis heute nicht gestoppt ist, wiewohl Chemiewaffen weltweit geächtet werden. Das Genfer Protokoll von 1925 verbietet ihren Ersteinsatz.

Mit Chemiewaffen vertreibt man den Gegner durch reizende oder erstickende Gase beziehungsweise Flüssigkeiten. Militärs können sie zugleich präventiv einsetzen: Man vergiftet ein ganzes Gelände, um es für den Gegner zu blockieren. Und natürlich kann man Chemiewaffen gezielt einsetzen, um Soldaten kampfunfähig zu machen, beziehungsweise zu töten.

Moderne Chemiewaffen sind Nervenkampfstoffe. Sarin gehört dazu, eine farblose Flüssigkeit, die durch Haut- und Augenkontakt aufgenommen wird. Der Tod tritt nach 15 Minuten ein. Die ersten Symptome: vermindertes Sehvermögen, Krämpfe, Atemlähmung.

Chemiewaffen-Einsätze in der heutigen Zeit

Weitere Beispiele sind laut einer wissenschaftlichen Expertise des Carl-Friedrich von Weizsäcker-Zentrums für Naturwissenschaften und Friedensforschung etwa Tabun (Nato-Code: GA), Soman, VX, VR, Novichok-5, Rizin.

Entwickelt wurden sie im Laufe der Jahrzehnte von den USA, der Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, Japan, Schweden oder Bulgarien. Aus der Vergangenheit bekannt (vermutet/verdächtigt) sind ferner staatliche Chemiewaffenprogramme in Albanien, Irak, Libyen, Indien, Südkorea, in Syrien, Nordkorea, Ägypten und Israel. Im Zweiten Weltkrieg kamen Chemiewaffen in Europa nicht zum Einsatz, aber danach nachweislich durch Ägypten im Jemen (1963-67), durch den Irak gegen den Iran (1980-88) und zehn Jahre später erneut gegen die Kurden, zuletzt auch von Syrien.

1997 kam das Chemiewaffenübereinkommen in Kraft, das Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatz chemischer Waffen verbietet und zu ihrer Vernichtung verpflichtet. Es ist teurer, chemische Waffen zu entsorgen, als sie zu produzieren. Über die Einhaltung des Abkommens wacht eigens die Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons in Den Haag (OVCW), die seither auch Tausende Inspektionen durchgeführt hat. Sie wird vom Spanier Fernando Arias geleitet. Nur vier Staaten haben die Chemiewaffenkonvention nicht unterzeichnet bzw. noch nicht ratifiziert, Ägypten, Israel, Nordkorea und der Südsudan.

Geächtet, verboten, aber auch wirklich abgerüstet?

1997 wurden 72.304 Tonnen chemischer Kampfstoffe gemeldet. Sie sollten inzwischen fast vollständig zerstört sein. Russland gab bereits 2017 bekannt, alle seine C-Waffen vollständig abgerüstet zu haben. Wenn also russische Truppen oder Separatisten Bomben, Raketen oder Granaten mit Giftgas im Ukraine-Krieg einsetzen sollten, dann würde sich Russland selbst der Lüge überführen. Zuletzt wurden Chemiewaffen in Einzelfällen eingesetzt, zum Beispiel beim Anschlag auf Sergei Skripal in Großbritannien.

Ob und welches Gift eingesetzt wird, kann noch im Nachhinein festgestellt werden, zumal wenn man schnell zu den Opfern gelangt und Blut- oder Urinproben entnehmen kann. Auch Reste von Raketen sind eine gute Spur. Sie sind anders konstruiert als normale Raketen für explosive Stoffe. Bodenproben verraten ebenfalls einen Chemiewaffenangriff. Bestimmte Abbauprodukte sind sehr stabil und können manchmal noch Monate nach einem Angriff eindeutig nachgewiesen werden. Das können Inspektoren mit speziellen Detektionsgeräten herausfinden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de