Berlin. Setzt Russlands Präsident Wladimir Putin in seinem Krieg gegen die Ukraine Chemiewaffen ein, darf Deutschland nicht mehr länger zögern.

Der Krieg in der Ukraine tobt mit erbarmungsloser Brutalität – nun schon seit mehr als sechs Wochen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Taktik geändert, zieht seine Truppen im Osten zusammen, stockt sie auf. Die Regierung in Kiew rechnet mit einer baldigen, blutigen Offensive.

Denn ganz offensichtlich will Putin, nachdem der erhoffte schnelle Kriegserfolg am Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer gescheitert ist, zum 9. Mai Erfolge sehen. Es ist der Feiertag, den der russische Präsident alljährlich fest in seinem Terminkalender hat, weil er ihn für den wichtigsten seines Landes hält: der „Tag des Sieges“.

Er erinnert an den Triumph der sowjetischen Armee über Nazi-Deutschland. Russland will ihn feiern wie jedes Jahr: mit Militärparade und Waffenschau auf dem Roten Platz als Demonstration der militärischen Stärke – und einer Rede des Präsidenten.

Ukraine-Krieg: Präsident Selenskyj will mehr Waffen

Das erhöht den Druck auf die russische Armee und die Ukraine massiv. Der ukrainische Präsident Selenskyj fleht die Weltgemeinschaft an, ihm schnell noch mehr Waffen zu liefern, um sich gegen den drohenden Ansturm wehren zu können.

Allein aus den USA landen täglich laut dem US-Verteidigungsministerium bis zu zehn Flugzeuge voller Waffen und Nachschub in der Region. Geliefert werde, "so viel wir können, so schnell wir können".

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat zu Kriegsbeginn Waffen im Wert von 1,7 Milliarden Dollar versprochen und liefert Flugabwehrraketen, Panzerabwehrlenkwaffen, Drohnen, panzerbrechende Waffen, Munition, Nachtsichtgeräte und vieles mehr.

Doch das reicht nicht. Die Wunschliste der Ukrainer ist lang und wächst mit jedem Tag ihrer verzweifelten Abwehrschlacht: Sie fordern Kampfflugzeuge, Schützenpanzer und anderes schweres Gerät – auch von Deutschland.

Kanzler Scholz steht auf der Bremse

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock kann sich das durchaus vorstellen, aber Bundeskanzler Olaf Scholz steht mit beiden Füßen auf der Bremse. Die Sorge ist groß, dass Russland Deutschland als Kriegsteilnehmer wahrnimmt.

Doch wer weiß denn, ob Putin das nicht längst so sieht? Er blättert in seinem Krieg nicht im Lexikon für Völkerrecht, bevor er angreift.

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© Reto Klar | Reto Klar

Deshalb hilft es nicht, sich wegzuducken und zu hoffen, dass es vielleicht doch nicht noch schlimmer kommt. Putin wird den Krieg nicht abblasen, er will ihn gewinnen. Und dazu sind ihm alle Mittel recht. Auch der Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist denkbar.

Chemiewaffeneinsatz als rote Linie?

Wäre das für die Bundesregierung jene rote Linie, die das Bestialische markiert, das nicht mehr hinnehmbar ist? Wäre ein Chemiewaffeneinsatz der Zeitpunkt, die Zurückhaltung aufzugeben, Öl- und Gaslieferungen zu stoppen und Waffen aller Art zu liefern?

Vielleicht ist es klug, die roten Linien nicht öffentlich zu ziehen, anders als US-Präsident Barack Obama es im Syrien-Krieg gemacht hat. Obama markierte deutlich – bis hierhin und nicht weiter –, warnte eindringlich, reagierte dann aber nicht, als seine Linien mehrfach übertreten wurden. So macht man sich klein, schwach und unglaubwürdig – eben so, wie Putin den Westen sieht: als einen Club von Schwächlingen, die sich nicht trauen, richtig zuzuschlagen.

Man sollte seine roten Linien aber kennen und bereit sein, dann auch konsequent zu reagieren, wenn sie verletzt werden. Und der Einsatz von Chemiewaffen wäre zweifellos ein solcher Tabubruch.

Ja, die Gründe der Bundesregierung, nicht sofort auf russisches Gas zu verzichten und keine Panzer zu liefern, wiegen schwer. Doch setzt Putin Massenvernichtungswaffen ein, muss die Antwort klar sein. Ohne Wenn und Aber. Auch wenn es nicht nur Putin trifft, sondern auch uns empfindlich wehtut.

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