Berlin . Bundeskanzler Olaf Scholz zögert noch immer bei der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Doch die Vorsicht kann Putin helfen.

Olaf Scholz hat recht. Deutschland erlebt eine „Zeitenwende“. Die Bundesrepublik liefert Waffen, Panzerfäuste, Flugabwehrgeschosse, Munition. Deutschland erhöht den Wehretat um 100 Milliarden. Die Nato ist für deutsche Sicherheitspolitik kein lästiges Anhängsel aus dem Kalten Krieg – es ist gerade für viele Staaten die Lebensversicherung gegen Putins imperiale Kriegspolitik.

Wie sehr sich Debatten in Deutschland in nur Wochen verschoben haben, zeigt: Menschen, die einen „Dialog“ mit Russland trotz aller Kriegsverbrechen der Streitkräfte in der Ukraine einfordern oder sich gegen Waffenlieferungen des Westens aussprechen, werden teilweise als „Handlanger Putins“ angeprangert.

Pazifismus angesichts russischer Aggression ist naiv und gefährlich. Jetzt Waffen für die Ukraine zu fordern ist so richtig wie simpel. Doch mit den Konsequenzen dieser „Zeitenwende“ wirkt die deutsche Politik überfordert. Sie verzettelt sich wahlweise in Anschuldigungen gegen die Friedensbewegung oder den ukrainischen Botschafter.

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Ukraine-Krieg hat deutsche Politik zu Kurswechsel gedrängt

Die hitzige Debatte ist verständlich. Es geht um Menschenleben vor unserer Haustür. Deutschland hat Debatten über Kriegseinsätze und militärisches Engagement in der Welt seit Jahrzehnten mit einer Mischung aus Verklemmung, Hemmnis und Zurückhaltung aufgrund deutscher Geschichte gemieden. Jetzt ist die Welt im Schrecken überwältigt von dem, was in der Ukraine passiert. Lesen Sie auch: Russische "Moskwa": Bilder sollen brennenden Kreuzer zeigen

Die Invasion Russlands in der Ukraine hat die deutsche Politik zu einem Kurswechsel gedrängt. Das, was nun an Geld in Rüstung, in Waffen und Bataillone gesteckt wird, ist notwendig. Doch das alles ist kein Verdienst kluger Sicherheitspolitik. Es ist allenfalls ein klappriger Notfallplan angesichts der Versäumnisse deutscher und europäischer Russland-Politik der vergangenen zehn Jahre.

Die deutsche Regierung versucht, Handlung zu demonstrieren, wo vor allem Überforderung herrscht. Scholz hebt in einem Interview mit der ARD fast mit leichtem Stolz in der Stimme hervor, man liefere an der Seite der Partner in Nato und EU ja bereits Waffen an die Ukraine, Panzerfäuste, Flugabwehrgeräte und passende Munition. Nur ist das nicht mehr als selbstverständlich. Schlimm wäre es, würde Deutschland diese Verteidigungswaffen den Ukrainern verwehren.

Die Vorsicht der Bundesregierung könnte Putin helfen

Seit Kriegsbeginn wird deutlich: Es sind andere Staaten, die der Ukraine mehr und schwerere Waffen liefern. Etwa Großbritannien, und gerade die osteuropäischen Staaten wollen Kampfjets und Panzer schicken. Die Scholz-Regierung lehnt das bisher ab – auch weil völlig unklar ist, was Deutschland überhaupt noch an militärischer Hilfe schicken kann. Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren herabgewirtschaftet, viele Panzer rosten vor sich hin, es fehlen Ersatzteile.

Doch das Zögern und Zaudern des Bundeskanzlers ist auch taktisch. Berlin blickt nicht nur nach Kiew, sondern auch nach Moskau. Nicht nur die Toten in der Ukraine sind Fluchtpunkt deutscher Politik, sondern auch eine mögliche Aggression Russlands gegen den Westen, wenn sich Nato-Staaten wie Deutschland zu sehr auf die Seite der Ukraine schlagen. Oder wenn Putin zumindest diesen Eindruck bekommt. Auch interessant: Ukraine: Ärzte arbeiten unter "unvorstellbaren Bedingungen"

Das ist eine bittere Rechnung. Die deutsche Politik wird der Verantwortung der Bundesregierung gegenüber den Menschen hierzulande gerecht, die Scholz aus einem Krieg mit Russland raushalten will. Es ist jedoch ein Tiefschlag für die ukrainische Bevölkerung, die sich mit aller Macht gegen die russischen Panzer stemmt. Ohne deutsche Panzer. Die Vorsicht in Berlin könnte am Ende vor allem einem helfen: Putin.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.