München. Im Ukraine-Krieg hat der Westen zu sehr auf die Moral gesetzt. Das reicht nicht, um die Narrative Chinas und Russlands zu entkräften.

Die weltweit stark besuchte Münchner Sicherheitskonferenz hatte ein überragendes Thema: den Ukraine-Krieg. Einig wie selten warb der Westen mit der Formel: Die Ukraine muss militärisch so lange wie nötig unterstützt werden. Sie muss den von Kremlchef Wladimir Putin angezettelten Angriffskrieg gewinnen. Die Freiheit muss gegen die Diktatur triumphieren.

Das Problem dabei: Dieses Narrativ des Westens verfängt nur in der eigenen Politik-Blase zwischen Washington, London und Berlin. In vielen Teilen der Welt ist die Rollenverteilung von Opfer und Täter, Gut und Böse nicht so klar. Die Botschaft des Westens kommt dort oft nicht an.

Ukraine-Krieg: Der „globale Süden“ leidet unter Energie- und Lebensmittelpreisen

Das musste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner kürzlichen Reise nach Südamerika schmerzlich erfahren. Der brasilianische Präsident Lula fuhr dem Kanzler auf offener Bühne in die Parade, als er sich weigerte, Munition für die Gepard-Flugabwehrpanzer an die Ukraine zu liefern. Lula forderte stattdessen eine Friedensinitiative unter Vermittlung Chinas und Brasiliens.

Diese Haltung stößt im „globalen Süden“ auf große Resonanz. Dort herrscht die Meinung vor, dass der Ukraine-Krieg ein „europäischer Krieg“ sei. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer in Lateinamerika, Afrika und Asien leiden besonders unter den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen des Krieges: Energie- und Nahrungsmittelpreise sind weltweit nach oben geschossen. Die Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine stocken. Bauern haben keine Düngemittel.

Putin gibt dem Westen die Schuld an der Rohstoffknappheit

Putin ist es zum Teil gelungen, im Kampf um die Interpretationshoheit den Spieß umzudrehen. Der Westen sei schuld an der globalen Knappheit der Güter, indem er Unmengen an Waffen in die Ukraine pumpe. Damit verlängere er die verlustreichen Gefechte, so Putin. Diese Auslegung hat besonders dort Erfolg, wo noch antiwestliche Ressentiments aus der kolonialen Vergangenheit zirkulieren.

Auch Chinas Ansatz kommt im „globalen Süden“ gut an. Peking pocht auf eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg – je schneller die Kämpfe aufhören, desto besser, lautet die Devise. Diese Linie spielt Putin in die Karten, denn die Ukraine müsste Zugeständnisse machen und wohl auf Gebiete verzichten.

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Michael Backfisch, Politikkorrespondent
Michael Backfisch, Politikkorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Der Westen muss den Ländern des „globalen Südens“ Angebote machen

Das schlagkräftigste Argument der Chinesen ist jedoch, dass sie sich seit Jahren als Motor der globalen Entwicklung profilieren. Das Projekt der „Neuen Seidenstraße“ wurde 2013 aufgelegt, um auf der ganzen Welt Eisenbahnlinien, Straßen sowie Flug- und Seehäfen zu bauen. Mehr als eine Billion Dollar sollen in dieses Mammut-Vorhaben fließen. Peking lockt mit billigen Krediten, hat dabei aber immer auch seinen Eigennutz im Sinn: Die Bauarbeiten werden durch Chinesen erledigt. Die Präsenz in den Ländern verschafft der Volksrepublik Zugang zu heißbegehrten Rohstoffen.

Der Westen hat zwar mit dem Anspruch, den Aggressor Russland in der Ukraine nicht durchkommen zu lassen, das Völkerrecht auf seiner Seite. Aber er muss sich aus der Wolke der Selbstgewissheit und gelegentlich auch Selbstbeweihräucherung befreien. Werbefeldzüge unter dem Banner der Moral reichen nicht aus.

Der Westen muss den Entwicklungs- und Schwellenländern zusätzlich Angebote machen. Dabei geht es nicht um die Überweisung von Milliardenbeträgen, die immer irgendwo versickern können. Besser wären konkrete Projekte wie Hilfe bei der Gründung von Startup-Unternehmen, Ausbildung von Fachkräften, Bereitstellung von Knowhow bei der Errichtung von Anlagen für erneuerbare Energien. Im „globalen Süden“ muss man sehen, dass der Westen vor Ort anpackt. Das schafft Zustimmung. Und es hilft bei der Überzeugungs-Offensive für die Positionierung im Ukraine-Krieg.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt