Berlin . Noch Ende 2021 erklärte Gerhard Schröder, Russland wolle die Ukraine nicht angreifen. Die Aussagen des Altkanzlers wirken heute bizarr.

  • Im Dezember ging Gerhard Schröder noch davon aus, dass niemand in Russland sich die Ukraine „einverleiben“ will
  • Selbst seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat sich Schröder nicht von Putin distanziert
  • Jetzt haben sich zehn SPD-Chefs mit einem Brief an den Altkanzler gewandt

„Nach meiner Auffassung denkt in der russischen Führung keiner darüber nach, die Ukraine zu überfallen oder was auch immer“, erklärte Gerhard Schröder am Vormittag des 9. Dezembers 2021 im Gespräch mit Jörg Quoos, dem Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion. Eigentlich ging es um die Vorstellung einer neuen Biografie über Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von Lars Haider. Der Altkanzler sollte bei der FUNKE-Veranstaltung etwas über seine gemeinsame Zeit mit dem Parteikollegen erzählen.

Doch die Lage lenkt die Diskussion unweigerlich in eine andere Richtung: Aufnahmen von der ukrainischen Grenze zeigen Panzer, Transporter, Haubitzen. Zehntausende russische Soldaten marschieren dieser Tage dort auf.

Das, was rund zehn Wochen später brutale Wirklichkeit werden sollte, treibt damals schon westliche Beobachter um: Diese Truppenstärke deutet mehr auf eine geplante Invasion hin als auf schlichte Grenzüberwachung. Doch Schröder will dem keinen Glauben schenken, vielmehr hat er eine andere Erklärung: „Sie müssen ja davon ausgehen, dass es erhebliche Manöverbewegungen der NATO auch gegeben hat in dem Raum.“

Ukraine-Konflikt: Schätzte Gerhard Schröder die Lage falsch ein?

Russland zieht also Einheiten zusammen, um auf Manöver der NATO zu reagieren? „Das scheint mir eher die Antwort zu sein, aber ich will darüber auch nicht spekulieren“, sagt Schröder. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand in Russland den Gedanken hat, man müsse sich die Ukraine einverleiben.“ Zweieinhalb Monate später überfällt Russland die Ukraine – seither herrscht Krieg.

Und der ehemalige Bundeskanzler gerät unter Druck: Schröder hält sich mit Äußerungen zurück, trotz massiver Kritik wegen seiner Geschäfte mit russischen Staatskonzernen und seinem freundschaftlichen Verhältnis zu Wladimir Putin. Seine Partei fordert, dass er die hochdotierten Ämter bei den Energieunternehmen niederlegt, Teile von FDP und Grünen legten nahe, dass man Schröder die Altkanzler-Ausstattung entziehen solle. Vier seiner Mitarbeiter hatten im Zuge der Diskussion über seine Russland-Verbindungen gekündigt.

Ukraine-Krieg: Schröder distanziert sich bisher nicht von Putin

Öffentlich hat sich Schröder bisher kaum zum Ukraine-Krieg und seiner Situation geäußert. Lediglich am 24. Februar veröffentlichte er auf seiner Seite im Online-Netzwerk LinkedIn einen Beitrag, in dem er Russland dazu aufforderte, den Krieg und das damit verbundene Leid für die Menschen in der Ukraine schnellstmöglich zu beenden. Gleichzeitig betonte er, dass es in den vergangenen Jahren „viele Fehler“ gegeben hätte – auf beiden Seiten. Darüber hinaus weigert sich Schröder bisher, sich von Putin zu distanzieren oder seine Tätigkeiten ruhen zu lassen.

Altkanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimnir Putin beim deutsch-russischen Wirtschaftsforum 2004 in Moskau.
Altkanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimnir Putin beim deutsch-russischen Wirtschaftsforum 2004 in Moskau. © AFP | MAXIM MARMUR

Schröder: „Ich kann gar nicht in einen Loyalitätskonflikt kommen“

Kritiker stellen deshalb die Frage in den Raum, wem die Loyalität des Altkanzlers gilt: Russischen oder deutsche Interessen? Am 9. Dezember wirkte er von dieser Frage noch relativ überrumpelt: „Wieso sollte ich in einen Loyalitätskonflikt kommen?“, fragte er Jörg Quoos damals zurück.

„Ich bin Deutscher, ich war hier mal Bundeskanzler. Ich bin deutscher Staatsbürger und fühle mich auch als solcher“, führte Schröder weiter aus. Er könne gar nicht in einen Loyalitätskonflikt kommen, behauptete der 77-Jährige im Gespräch.

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Schröder steht wegen seiner Beziehungen zu Russland schon lange in Kritik

Konkret geht es bei Schröders Geschäftsbeziehungen um Posten bei den russischen Energieunternehmen Nord Stream 1 und 2 sowie dem Ölkonzern Rosneft, wo er Aufsichtsratschef ist. Zudem soll Schröder einen Aufsichtsratsposten für Gazprom übernehmen. Er ist bekennender langjähriger Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Ob Schröder die Lage im Dezember schlichtweg nicht richtig einschätzte oder vom Kreml tatsächlich hinsichtlich der Absichten bezüglich der Ukraine getäuscht wurde, ist unklar. Rückblickend erscheinen seine Aussagen aber bizarr – trat doch das genaue Gegenteil ein.

Auch in den Augen der Bevölkerung in Deutschland gerät Schröder wegen seiner Nähe zum russischen Präsidenten immer mehr ins Abseits. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Insa für die „Bild am Sonntag“ vertraten 74 Prozent aller Deutschen und sogar 82 Prozent der SPD-Wähler die Ansicht, dass Schröder aus der SPD ausgeschlossen werden sollte. 75 Prozent (SPD-Wähler: 79 Prozent) vertreten sogar die Auffassung, dass Schröders Ruhegehalt gestrichen werden sollte, wenn er seine Posten bei russischen Staatskonzernen nicht aufgibt.

SPD-Vorsitzende fordern Schröder zur Distanzierung von Putin auf

Auch aus der Chefetage der SPD gibt es Kritik. So haben die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie acht ehemalige SPD-Chefs Schröder zur Distanzierung von Putin aufgerufen. In einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es: „Handle und sage klare Worte“. Angesichts des Kriegs in der Ukraine gehe es jetzt darum, „unmissverständlich sich auch gegen das kriegerische Handeln von Präsident Putin zu stellen“.

Wenn Schröder nicht öffentlich eine Erklärung abgebe, werde man sich „in diesem Sinne“ äußern, schrieben die aktuellen und früheren Parteichefs bereits am 3. März, wie nun bekannt wurde. Unterzeichnet haben neben Esken und Klingbeil auch Norbert Walter-Borjans, Andrea Nahles, Martin Schulz, Kurt Beck, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Rudolf Scharping und Björn Engholm. Nicht unterschrieben haben die früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel und der zur Linkspartei gewechselte Oskar Lafontaine. (mit dpa)

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

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