Berlin . Bundeskanzler Olaf Scholz schafft die Kehrtwende im Ukraine-Krieg – nur so hat der Frieden eine Chance, meint Chefredakteur Jörg Quoos.

Ausgerechnet ein Grünen-Politiker hatte es spontan und seinem eigenem moralischen Kompass folgend formuliert: „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, kann man meiner Ansicht nach, Defensivwaffen, der Ukraine schwer verwehren“. So sprach Robert Habeck bei einem Besuch in der ukrainischen Krisenregion im Mai vergangenen Jahres. Danach fegt ein Shitstorm über den späteren Wirtschaftsminister hinweg, bis Habeck beidrehen musste. Dabei lag er so richtig.

Vielleicht war es Habeck, der den Kanzler am Ende überzeugte, dass Deutschland so nicht weitermachen kann. Olaf Scholz hat Recht, wenn er sagt, die Welt ist nach dem russischen Überfall nicht mehr dieselbe, wie davor. Wladimir Putin hat mit dem Angriff auf seine Nachbarn alles bislang Gesagte entwertet. Das gilt auch für die bisherigen deutschen Positionen.

Putins jüngste Drohungen mit „Abschreckungswaffen“, also dem Atomknopf, zeigen, wie nervös der Kremlherrscher angesichts des Drucks geworden ist. Es scheint alles nicht so zu laufen, wie er sich das vorgestellt hat. Deshalb ist klare Kante wichtig – genauso wie Gesprächsangebote und das Signal an das russische Volk: Es geht nicht gegen euch, sondern gegen eure Führung!

Olaf Scholz hat mit seiner Rede die steile Kurve gekriegt

Die Wende der Regierung kommt spät, aber sie ist richtig. Die Ampel war unter der Führung von Olaf Scholz auf dem Weg in eine gefährliche Isolation. Ihre Entscheidung, einem überfallenen Volk von 44 Millionen Menschen 5000 Helme zu liefern, war beschämend und ein Tiefpunkt in den ersten 100 Tagen.
Jetzt hat der Kanzler die Kurve gekriegt und mit einer überzeugenden Rede auf der Sondersitzung des Bundestags den neuen Kurs gesetzt. Jetzt müssen möglichste viele folgen. Man ist kein Kriegstreiber, wenn man den völkerrechtswidrig angegriffenen Ukrainern Waffen zur Selbstverteidigung liefert.

Deutschland ist einer der größten Waffen-Exporteure der Welt. Die übelsten Regime verfügen über riesige Arsenale von Kriegsgerät „Made in Germany“. Die einzige akzeptable Begründung für die Geschäfte dieser Industrie ist, dass ihre Waffen zur Selbstverteidigung gebraucht werden. Und wer, wenn nicht die Ukraine, braucht jetzt Waffen zur Selbstverteidigung am nötigsten?

Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Und man ist auch kein Kriegstreiber, wenn man seine Armee so ausstattet und führt, dass sie wirklich abschrecken kann. Es ist zu hoffen, dass der 24. Februar 2022 auch bei den eigenen Verteidigungsmöglichkeiten eine Kehrtwende ist. Dass die Probleme der Bundeswehr endlich gelöst werden und dass eine schlagkräftige Truppe entsteht, die mithelfen kann, den Frieden zu sichern.

Man muss sich auch nach dem Krieg in die Augen sehen können

Die Kehrtwende wird gestützt von der großen Mehrheit des Bundestages, das wurde in der Sondersitzung deutlich. Die stehenden Ovationen für den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der seit Monaten hartnäckig auf deutsche Waffenlieferungen drängt, waren auch ein eindrucksvolles Eingeständnis, dass man mit der Verweigerungshaltung falsch lag.

Ein weiteres Versagen defensiver Waffen an die Ukrainer wäre eine moralische Katastrophe gewesen. Ein Deutschland, das alleine steht, wäre eine schwere Hypothek für die Beziehungen zur Ukraine und allen Anrainern Russlands, die sich von Moskau bedroht fühlen. Ja, das alles – Sanktionen, Aufrüsten, Waffenlieferungen – wird gefährlich und teuer für uns. Aber es ist angesichts von Putins Entschlossenheit alternativlos.

Dieses Europa – mit einer freien Ukraine – wächst nur weiter zusammen, wenn man sich auch nach dem Krieg wieder in die Augen schauen kann. Weil man nicht nur mit Worten oder illuminierten Gebäuden, sondern auch mit Taten auf der richtigen Seite stand.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt