Berlin. Polen und Bulgarien wollten ihre Rechnungen nicht in Rubel zahlen, Russland dreht den Hahn ab. Es ist auch ein Signal an Deutschland.

Russland läutet die nächste Stufe in der Spirale an Sanktionen und Gegensanktionen ein – und dreht Polen und Bulgarien den Gashahn zu. Seit 8 Uhr am Mittwochmorgen fließt kein Gas mehr durch die Jamal-Pipeline nach Polen, erklärte Polens Klimaministerin Anna Moskwa. In Sofia zeigte man sich entrüstet über den Lieferstopp. Man habe seine Verpflichtungen „vollkommen erfüllt“, ließ das bulgarische Energieministerium per Mitteilung verlauten. Das sieht Russland allerdings anders.

Ende März unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Dekret, wonach westliche Staaten ihre Energieeinfuhren künftig in Rubel bezahlen sollten. Es war eine Strategie Russlands, um die Sanktionen zu umgehen. Denn die hohen russischen Bestände an Fremdwährungen im Ausland sind seit Kriegsbeginn eingefroren. Kurzzeitig geriet so der Rubelkurs unter Druck, ehe er sich jüngst wieder fing. Die europäischen Staaten lehnten die Rubelzahlungen über die Gazprombank ab – und beriefen sich dabei auf ihre laufenden Verträge. „Die Zahlung russischer Gaslieferungen findet entsprechend der bestehenden Verträge in Euro und Dollar statt“, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende März nach einem Gespräch mit Putin mitgeteilt.

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Russische Gaslieferungen: Drohen Deutschland Engpässe?

Russland hingegen hatte damit gedroht, die Gaslieferungen zu stoppen, wenn die Zahlungen weiter nach den bisherigen Modalitäten erfolgen – und setzt seine Drohung nun um. Die Auswirkungen dürften sich vorerst allerdings in Grenzen halten, meint Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Über die polnische Leitung wird seit Monaten weniger Gas geliefert. Es ist derzeit nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da Deutschland und Europa ausreichend mit Gas versorgt ist“, sagte Kemfert unserer Redaktion.

Betroffen von dem Lieferstopp ist laut der polnischen Klimaministerin Moskwa die Jamal-Pipeline. Die 4196 Kilometer lange Gasröhre transportiert Erdgas von der in Sibirien gelegenen Halbinsel Jamal über Russland, Belarus und Polen nach Deutschland, wo das Gas ins deutsche Ferngasnetz eingespeist wird. Deutlich wichtiger für Deutschland sind allerdings die Pipelines Nord Stream 1 und Transgas. Über die Jamal-Pipeline floss in den vergangenen Monaten bereits immer wieder nur wenig Gas.

Auch in Polen dürfte sich der Schaden in Grenzen halten. Laut Ministerin Moskwa seien die Gaslager zu 76 Prozent gefüllt, noch in diesem Jahr solle zudem die Baltic Pipeline in Betrieb genommen werden, die Gas von Norwegen nach Polen transportiert. Anders sieht es hingegen bei Bulgarien aus. „Bulgarien ist sehr abhängig von russischen Gaslieferungen, und wird über den Europäischen Verbund Hilfe benötigen“, sagt Kemfert. Allerdings habe die bulgarische Regierung vorgesorgt, sodass auch dort kurzfristig keine Versorgungsengpässe drohen würden.

Deutschland: Was würde ein Embargo für Deutschland bedeuten?

Somit sind die Auswirkungen für beide Seiten zunächst gering: Die Gasversorgung in Europa ist nicht wesentlich gefährdet, auf der anderen Seite schmälert Russland seine Einnahmen nur in geringem Maße. So ist es vor allem eines: ein klares Signal – auch an Deutschland, dem wichtigsten Abnehmer von russischem Gas. „Ein Gas-Lieferstopp seitens Russlands ist auch für Deutschland wahrscheinlicher geworden, Deutschland muss sich vorbereiten, und alles dafür tun, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“, mahnt Kemfert. Die Vorbereitungen für ein solches Szenario laufen bereits seit Wochen. Auch interessant: Energieembargo: Warum Russland davon profitieren könnte

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat etwa die erste Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Bei dieser Frühwarnstufe greift der Staat zwar noch nicht ein, sollte es aber zur dritten Stufe und damit zur Notfallstufe kommen, könnte der Staat aktiv bestimmen, welches Unternehmen noch Gas erhält. Deutsche Firmen fürchten dieses Szenario. Martin Brudermüller, Chef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF mit Sitz in Ludwigshafen, hatte gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor einer Zerstörung der „gesamten Volkswirtschaft“ gewarnt, würde es zu einem Einfuhrstopp kommen. Eon-Chef Leonhard Birnbaum hatte jüngst im „Handelsblatt“ davor gewarnt, dass ein Gasembargo die EU „zerreißen“ könne.

Deutschland, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch (27. April), werde vertragstreu bleiben – und weiterhin in Euro zahlen, so wie es in den Verträgen festgeschrieben sei. Den Stopp der Lieferungen an die europäischen Partner müsse man ernst nehmen, sagte er, „und ich nehme das auch ernst.“ „Ein Gas-Lieferstopp seitens Russlands ist auch für Deutschland wahrscheinlicher geworden“, so die Einschätzung von DIW-Expertin Kemfert. „Deutschland muss sich vorbereiten, und alles dafür tun, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“ Trotzdem sollten sich Deutschland und Europa nicht erpressen lassen, sondern weiter auf die Vertragseinhaltungen pochen, sagte sie.

Wie sehr würde die deutsche Wirtschaft leiden?

In der Frühjahrs-Konjunkturprognose des Wirtschaftsministeriums, die vor dem Hintergrund des Krieges schon um 1,4 Prozentpunkte gesenkt wurde, ist eine mögliche Blockade der Gaslieferungen noch gar nicht einkalkuliert. „Wenn diese dazu käme, hätten wir eine Rezession in Deutschland“, sagte Habeck am Mittwoch (27. April) bei der Vorstellung der Prognose. Sollten die Lieferungen jetzt ausbleiben, würde das nach den Rechnungen seines Hauses bis zu 6,5 Prozentpunkte weniger Wachstum bedeuten.

Auch in der Wirtschaft sieht man ein solches Szenario trotz aller Vorbereitungsmaßnahmen weiter mit Sorge: „Eine gestörte Gasversorgung hätte kaum kalkulierbare Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes“, sagte Markus Jerger, Vorsitzender des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), dieser Redaktion. „Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben kaum Chancen, ihre Produktion schnell und flexibel zu verlagern.“ Es komme jetzt darauf an, nationale Reserven auf- und erneuerbare Energien auszubauen.

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Gas: Wie könnte Deutschland einen Engpass ausgleichen?

Trotzdem sollten sich Deutschland und Europa nicht erpressen lassen, sondern weiter auf die Vertragseinhaltungen pochen, findet Kemfert. Der Gas-Lieferstopp seitens Russland nach Polen und Bulgarien sei die nächste Eskalationsstufe Russlands, um „Europa in Angst und Panik zu versetzen.“ Zugleich zeige sie aber auch, wie angewiesen Russland auf Rubel-Zahlungen sei. Für Deutschland gehe es darum, verstärkt Gas aus anderen Ländern zu beziehen und sich mit Energieeinsparungen für den Winter vorzubereiten.

Daran arbeitet auch die Bundesregierung. Bundeswirtschaftsminister Habeck reiste jüngst unter anderem nach Katar und in die Vereinigten Emirate, um über die Lieferungen von Flüssiggas zu verhandeln. Neue Flüssiggasterminals sollen nun im Eiltempo in Deutschland entstehen, nachdem die Projekte zuvor Jahre lang nicht vorangegangen waren. Neben der Bundesregierung riefen jüngst auch Interessensverbände zum Energiesparen auf. Selbst der Automobilclub ADAC empfahl, das Auto für kurze Strecken einmal stehen zu lassen.

Allerdings wird das kaum reichen, um die Abhängigkeit von russischem Gas kurzfristig zu reduzieren. Während Deutschland bei der Kohle nahezu unabhängig von Russland ist und beim Öl laut Habeck nur noch eine Abhängigkeit von rund 12 Prozent aufweist, ist es für Deutschland deutlich schwieriger, sich vom russischen Gas loszusagen. Im ersten Quartal 2022 kamen immer noch 40 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland. Habeck rechnet damit, dass Deutschland frühestens im Jahr 2024 vollständig von russischem Gas unabhängig sein kann.

Wie voll sind die deutschen Gasspeicher?

Mit dem wärmeren Wetter fließt der überwiegende Teil des Gases, das derzeit nach Deutschland geliefert wird, in die Gasspeicher, die Füllstände steigen seit Mitte März. Aktuell sind sie nach Angaben der Bundesnetzagentur zu rund 34 Prozent gefüllt. Wie lange dieses Gas im Ernstfall reichen würde, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem der Witterung.

Nachdem die Speicher im vergangenen Winter zeitweise historisch niedrige Füllstände aufwiesen, sollen sie im kommenden Winter deutlich besser gefüllt sein. Ein neues Speichergesetz schreibt Füllstände von 90 Prozent am 1. Dezember vor. Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas, sprach sich dafür aus, die Befüllung kurzfristig zu beschleunigen. „Wir müssen jetzt Gas sparen, damit wir im Winter genug haben.“

Müssen private Haushalte mit Einschränkungen rechnen?

Private Haushalte gehören, ebenso wie Krankenhäuser oder die Feuerwehren, laut Gesetz zu den sogenannten „geschützten Kunden“, denen im Fall von Versorgungsengpässen als letztes das Gas abgestellt wird. Doch die angespannt Situation werden sie wohl trotzdem zu spüren bekommen, Experten rechnen mit weiteren Preissteigerungen. Die Bundesregierung appelliert, Energie zu sparen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.