Berlin. Die hohen Energiepreise setzen Energieversorger unter Druck. Erste Unternehmen müssen auf Kredite zurückgreifen. Droht ein Kollaps?

Eigentlich gibt es derzeit noch keine Energieengpässe in Deutschland und Europa. Russland liefert auch seit Kriegsbeginn Öl, Gas und Kohle. Am Dienstag pumpte allein der russische Staatskonzern Gazprom nach eigenen Angaben 109,6 Millionen Kubikmeter Gas nach Europa. Sowohl durch die Pipelines in der Ukraine als auch durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 fließt seit Kriegsbeginn weiter Gas.

Doch an den Rohstoff- und Energiemärkten spielen die Preise seit dem Einmarsch Putins in das Nachbarland verrückt. „Der Elefant im Raum ist die Frage, ob die Energielieferungen aus Russland gedrosselt werden – entweder weil Putin den Gashahn zudreht oder weil Europa russische Energieimporte boykottiert“, sagte Gabor Vogel, Rohstoff-Analyst bei der DZ-Bank, unserer Redaktion. An den Strombörsen seien derzeit viele Spekulanten aktiv.

Ukraine-Krieg: Erste Unternehmen geraten durch Preisschwankungen unter Druck

Das hat Folgen: An der Leipziger Energiebörse EEX kostete die Megawattstunde Strom vor rund einer Woche 485 Euro, mittlerweile bewegt sie sich knapp unter 260 Euro.

Die hohen Schwankungen setzen nun aber bereits erste Unternehmen aus dem Energiesektor unter erheblichen Druck. Denn häufig sichern Energiekonzerne sich an den Terminmärkten gegen Preisrisiken ab. In der Regel verkaufen Konzerne Gas und Strom zu langfristig garantierten Preisen. Steigt der Strom- oder Gaspreis aber über den vereinbarten Preis, müssen sie Sicherheiten hinterlegen, die sogenannte Margin.

Schnellt der Preis wie zuletzt nach oben, werden mehr Sicherheiten fällig. „Bei Schwankungen von 20 oder 30 Prozent ist das noch kein Problem“, sagt Analyst Vogel. „Wenn sich aber der Preis binnen kurzer Zeit verdoppelt oder verdreifacht, dann kann es für Unternehmen schwierig werden, genügend Mittel aufzubringen.“ Denn nicht alle Unternehmen haben die oft milliardenschweren geforderten Sicherheiten auf der hohen Kante.

Erste Firmen benötigen hohe Kredite

Um der Aufforderung nach einer höheren Sicherheit, dem sogenannten Margin Call, zu folgen, müssen erste deutsche Unternehmen derzeit selbst Kredite aufnehmen. Nun wurde bekannt, dass eine Firma sogar einen Kredit in Höhe von 5,5 Milliarden Euro bei der staatlichen Förderbank KfW gezogen hat. Nach Recherchen des „Handelsblatts“ soll es sich dabei um das Braunkohleunternehmen Leag handeln. Demnach soll auch die EnBW-Tochter Verbundnetz Gas (VNG) einen solchen Kredit gezogen haben, ebenso wie Uniper.

Nicht genügend Geld, um einen Margin Call zu bedienen – dieses Szenario weckt Erinnerungen an die Weltfinanzkrise ab 2007. Droht nun deutschen Stromversorgern der Kollaps?

DIW-Expertin Kemfert sieht keine Gefahr einer Insolvenzwelle

„Es handelt sich hier um keine Zahlungsschwierigkeiten, sondern um reine Liquiditätsengpässe“, sagt die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert. Zwar stünden die hohen Sicherheiten auf der einen Seite, auf der anderen Seite würde dafür aber ein kräftiges Plus beim Verkaufspreis stehen. „Die Konzerne dürften üppige Gewinne erwarten. Hier ist eher die Frage, inwieweit man derartige Kriegsgewinne nicht zusätzlich besteuert. Insofern droht in keinster Weise eine Insolvenzwelle der Energiekonzerne“, sagte die Wirtschaftsprofessorin.

Aus dem Bundeswirtschaftsministerium hieß es, man könne etwaige Einzelfälle nicht kommentieren. „Allgemein gilt: Die bewährten Liquiditätsinstrumente der KfW stehen alle Branchen zur Verfügung und greifen gerade dort, wo kurzfristig Liquidität zu sichern ist“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion.

Rohstoff-Analyst Gabor Vogel warnt, dass man weitere Turbulenzen auf dem Energiemarkt nicht ausschließen könne. „Aber die Energiesicherheit steht auch politisch im Fokus. Im Notfall würde man die Versorger wohl auffangen“, sagte Vogel.