Berlin. Im Zuge des Ukraine-Krieges werden die Sanktionen schärfer. Gas aber kommt weiter aus Russland. Aus Österreich kommt eine Warnung.

Die Europäische Union zieht in der Sanktionspolitik gegen Russland die Zügel an: Nach dem Kohle-Embargo soll nun auch die Einfuhr von Öl boykottiert werden. Damit bleiben Russland vor allem die Gasexporte, um Geld aus Europa zu erhalten. Die Bundesregierung lehnt ein Gasembargo bisher ab. Noch immer stammen 35 Prozent der Gaslieferungen aus Russland. Zu abhängig ist man, um mit einem Embargo den Druck auf Russlands Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg zu erhöhen.

Nun kommt eine klare Warnung aus Deutschlands Nachbarland, von diesem Kurs nicht abzuweichen: „Wir dürfen keine Signale in Richtung Gasembargo senden, wenn wir wissen, dass wir es nicht durchhalten – und weder wir noch Deutschland werden es durchhalten können“, sagt die österreichische Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck.

Die Alpenrepublik ist noch abhängiger als Deutschland vom russischen Gas: Rund 80 Prozent des Gases stammen aus Russland. Im Gegensatz zu Deutschland sind die Alternativen für Österreich begrenzt. Da es keinen Meereszugang gibt, können etwa keine Tanker für Flüssiggas anlanden.

Entsprechend groß ist die Sorge vor einem Gasembargo. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Schramböck über die Abhängigkeit vom russischen Gas, warum Deutschland nicht auf Gaslieferungen aus dem Nachbarland hoffen kann und wie die Tirolerin die Diskussion um eine mögliche Kiew-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz wahrnimmt.

Frau Schramböck, die EU diskutiert über ein Ölembargo. Was würde das für die österreichische Wirtschaft bedeuten?

Margarete Schramböck: Zehn Prozent des in Österreich konsumierten Öls kamen vor Kriegsbeginn aus Russland. Mit Ausbruch des Krieges haben wir Alternativen gesucht und sind bereits unabhängig. Es gibt aber Länder in Europa, die ein Ölembargo in eine schwierige Situation bringen würde, etwa Slowakei und Ungarn. Auf diese Länder müssen wir Rücksicht nehmen. Andersherum verhält es sich beim Gas. Es gibt ein klares Nein aus Österreich und Deutschland zu einem Embargo, weil es uns mehr schaden als nützen würde. Wichtig ist, dass wir uns in der EU nicht auseinanderbringen lassen – denn das ist es, was Wladimir Putin versucht.

Putin könnte den Gashahn auch selbst zudrehen – wie in Bulgarien und Polen geschehen. Wird es ihm so gelingen, die EU zu spalten?

Schramböck: Wir sehen derzeit keine Einschränkungen der Gaslieferungen für Österreich. Aber wir sind zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig – entsprechend hoffen wir, dass ein Embargo nicht eintritt. Klar ist: Wir müssen so schnell wie möglich unabhängig werden. Nur ist es aber unrealistisch zu glauben, dass das von heute auf morgen ginge. Wir dürfen keine Signale in Richtung Gasembargo senden, wenn wir wissen, dass wir es nicht durchhalten – und weder wir noch Deutschland werden es durchhalten können.

Österreich ist beschränkter bei den Alternativen, hat beispielsweise keine Häfen für Flüssiggas-Tanker. Wie wollen Sie unabhängig von Russland werden?

Schramböck: Es braucht so viel regionale und lokale Produktion wie möglich. Beim Biogas hat Österreich große Chancen, die Kreisläufe zu schließen. Wir brauchen einen Innovationstsunami beim Biogas. Wir könnten mit unserer großen Landwirtschaft bis zu 20 Prozent unseres Bedarfs aus Biogas decken. Dafür brauchen wir dringend eine Biogasquote.

Margarete Schramböck ist seit 2018 Wirtschafts- und Digitalisierungsministerin in Österreich. Zuvor war die ÖVP-Politikerin als Managerin in der Telekommunikationsbranche tätig, arbeitete unter anderem für Alcatel und leitete drei Jahre lang NextiraOne Deutschland. Von 2016 bis 2017 leitete sie die A1 Telekom Austria.
Margarete Schramböck ist seit 2018 Wirtschafts- und Digitalisierungsministerin in Österreich. Zuvor war die ÖVP-Politikerin als Managerin in der Telekommunikationsbranche tätig, arbeitete unter anderem für Alcatel und leitete drei Jahre lang NextiraOne Deutschland. Von 2016 bis 2017 leitete sie die A1 Telekom Austria. © imago/photonews.at | IMAGO/photonews.at/Georges Schneider

Nur auf Biogas werden Sie nicht setzen können.

Schramböck: Die Europäische Union muss auf Fracking setzen. Es gibt Methoden, um Schiefergas umweltfreundlich zu fördern. Wir dürfen uns nicht verschließen und mit dem technologischen Stand von vor 20 Jahren argumentieren. Die Technologie hat sich weiterentwickelt. Zudem brauchen wir mittelfristig neue Partnerschaften, etwa mit Saudi-Arabien. Die Saudis erzeugen derzeit am kosteneffizientesten Solarenergie und Wasserstoff.

Auch in solchen Ländern werden Menschenrechte mit Füßen getreten.

Schramböck: Es gibt nicht so viele Demokratien auf der Welt. Wir können es uns nicht leisten, keine Partnerschaften auf der südlichen Halbkugel abzuschließen. Uns fallen jetzt schon große Märkte weg – die Ukraine, Russland, China mit seiner Null-Covid-Strategie. Wir brauchen also neue Märkte. Wenn sich Chancen ergeben, sollten wir früh dort sein und mit unseren Technologien helfen, den Umbau voranzutreiben. Das kann auch eine Chance für die Menschenrechte sein.

Die Prämisse, wer Handel treibt, schießt nicht aufeinander, ist in Russland gescheitert. Fürchten Sie ein ähnliches Szenario in China, wo ein Krieg mit Taiwan droht?

Schramböck: Die weltweite Abhängigkeit von Taiwan im Bereich der Mikrochips ist sehr hoch. Man muss sich vorbereiten und diversifizieren. Wir müssen in den Bereichen Chips, Pharma, Batterien, Energie und Wasserstoff unabhängig werden. Wenn wir mehr Unabhängigkeit erzielen und die Standards setzen, dann können wir mit China auf Augenhöhe diskutieren. Wir waren gegenüber China lange zu naiv und haben beispielsweise europäische Firmen zu leicht übernehmen lassen.

Diese Unabhängigkeit wird man mit höheren Preisen erkaufen müssen.

Schramböck: Wir wollen nicht das eins zu eins zurückholen, was damals ausgelagert worden ist. Wir müssen es durch Effizienzsteigerungen schaffen, dass es sich lohnt, hierzulande zu produzieren. Wenn ich die Produktion weggebe, folgt die Forschung und Entwicklung. Das ist der Anfang vom Ende. Wir müssen in der Lage sein, die Grundprodukte selbst zu produzieren und dürfen das Wissen nicht verlieren.

In Deutschland gibt es eine Diskussion darüber, wer sich als erstes einschränken muss, wenn Putin den Gashahn zudreht – Verbraucher oder die Industrie. Wie ist die Situation in Österreich?

Schramböck: In Österreich werden die privaten Haushalte als vulnerable Gruppen geschützt. Wir stellen 6,6 Milliarden Euro für die Gasbevorratung bereit und haben das Ziel, die Speicher, die für uns gedacht sind, von derzeit 18 auf 80 Prozent aufzufüllen. Wir müssen auch Sorge für die Unternehmen tragen. Der Fokus liegt derzeit auf den Speichern für den heimischen Bedarf. Im Gegensatz zu Deutschland haben wir große Gasspeicher, die auch für andere Länder sind. Der Speicher in Haidach ist beispielsweise ausschließlich für den deutschen Bedarf – der gehört der Gazprom und ist derzeit leer. Lesen Sie hier: Gas: Wen würde ein Energie-Embargo am härtesten treffen?

Überlegen Sie, solche Speicher wie in Haidach, die russischen Konzernen gehören, zu enteignen?

Schramböck: Wir müssen uns überlegen, wie wir mit solchen Speichern umgehen. Für uns stellt sich die Frage, wer es bezahlt, sollte die Europäische Union vorschreiben, dass die Speicher zu füllen sind. Wir sind eines der wenigen Länder in Europa, deren Speicherkapazitäten über den eigenen Bedarf hinausgehen. Wir können mit österreichischem Steuergeld Vorsorge für die Speicher treffen, die dem österreichischen Bedarf dienen. Aber wir können nicht mit österreichischem Steuergeld Gas für Deutschland, Frankreich oder die Niederlande kaufen.

Wie sehr sind österreichische Unternehmen von den Sanktionen betroffen?

Schramböck: Wir haben nur noch ein Handelsvolumen von etwa zwei Milliarden Euro mit Russland, wobei ein Großteil davon die Gasimporte darstellen. Russland spielt keine große Rolle mehr.

Wären Sie bereit, wenn Putin das Gas abdreht, in Rubel zu zahlen?

Schramböck: Die OMV hat einen Vertrag mit Gazprom und bezahlt entsprechend ihres Vertrages in Euro. Wir halten uns an die Sanktionen und die ermöglichen diese Form der Bezahlung.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Ampel-Koalition?

Schramböck: Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Jetzt heißt es, zusammenzuhalten – gerade auch bei Sanktionen. Man darf keine Sanktionen beschließen, die man nicht durchhalten kann.

Ein Gas-Embargo wäre für Sie also auch dann eine rote Linie, wenn die deutsche Bundesregierung ihre Haltung ändern würde?

Schramböck: Ein Gas-Embargo ist für Österreich eine klare rote Linie.

In Deutschland wird diskutiert, ob Bundeskanzler Olaf Scholz nun nach Kiew reichen sollte. Wie ist Ihre Position dazu?

Schramböck: Es liegt nicht an mir, ihm etwas zu empfehlen. Ich kann nur für Österreich sprechen. Kanzler Karl Nehammer war sowohl in Kiew als auch in Moskau. Es ist uns wichtig, dass wir harte Gespräche führen. Der Ukraine zu helfen ist unsere gemeinsame Aufgabe. Lesen Sie hier: Einladung nach Kiew: Steinmeier telefoniert mit Selenskyj

Auch in Österreich ist die Inflation mit 7,2 Prozent hoch, das Wirtschaftswachstum wurde abgesenkt auf 2,0 Prozent. Sorgt Sie die Entwicklung?

Schramböck: Die Menschen leiden und haben große Sorgen aufgrund der gestiegenen Preise im Energie- und Lebensmittelbereich. So etwas haben wir seit 40 Jahren nicht mehr gesehen. Wir müssen es ernst nehmen und schnell gegensteuern. Wir waren sehr schnell mit unseren Hilfspaketen, haben beispielsweise die Ökostromabgaben schon im Dezember abgeschafft. Die Elektrizitäts- und Gasabgaben haben wir bis Mitte 2023 um bis zu 90 Prozent reduziert. Bei den Abgaben können wir helfen. Wir sollten uns aber nicht in Planwirtschaft versuchen.

Wie blicken Sie auf eine mögliche Zinserhöhung durch die EZB?

Schramböck: Die EZB muss sorgfältig vorgehen. Wir müssen schauen, ob Griechenland oder Italien höhere Zinsen stemmen können. Österreich lehnt eine Schuldenunion klar ab. Auch für die Unternehmen wären höhere Zinsen eine Belastung.

Sie sind Ministerin für Digitalisierung. In Deutschland ist die Verwaltung zumeist analog. Was kann Deutschland von Österreich lernen?

Schramböck: Die Einführung einer einheitlichen Plattform hat uns nach vorne gebracht. Unser digitales Amt hatte im vergangenen Jahr 75 Millionen Seitenaufrufe und ist per App nutzbar. Die Devise ist: Beim Zähneputzen ummelden. Wir hatten 88.000 Wohnsitzanmeldungen über die App. Man wird erinnert, wann der eigene Pass oder der Pass der Kinder abläuft. Geschäftsführer können sich digital eine Unbedenklichkeitsprüfung ausstellen lassen. Das funktioniert und wird angenommen. Es braucht absolute Orientierung am Bürger.

Kann die Digitalisierung inflationsdämpfend wirken?

Schramböck: In den vergangenen zehn Jahren war es so. Automatisierung und Digitalisierung kann gegen Preiserhöhungen wirken – derzeit sind die Steigerungen aber zu hoch, als dass die Digitalisierung sie aufhalten kann.

Immer noch schwingen Ängste bei der Digitalisierung mit, gerade mit Blick auf den eigenen Arbeitsplatz. Ist eine solche Angst in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels noch gerechtfertigt?

Schramböck: Natürlich muss man diese Ängste ernst nehmen. Wir müssen Menschen weiterbilden, umschulen und ihnen digitale Kompetenzen mitgeben.

Wundert es Sie, dass Deutschland bei der Digitalisierung so schlecht dasteht?

Schramböck: Dabei spielt der Föderalismus eine Rolle. Ich habe in den Regierungsverhandlungen die Bildung verhandelt. In Österreich erhalten alle Schüler ab elf Jahren digitale Endgeräte. Die Schulen suchen sich aus, ob das Notebooks oder smarte Tablets sind. Ab Herbst wird es ein eigenes Schulfach „Digitale Grundbildung“ geben. Dort geht es um die Anfänge des Codings, den Umgang mit Medien und die Gefahren im Internet.

Erwarten Sie im Zuge des Ukraine-Krieges nun verstärkt Cyberattacken?

Schramböck: Derzeit ist die Lage großflächig noch ruhig. Aber es ist klar, dass es irgendwann in den EU-Ländern zu Schlägen aus Russland kommen wird. Polen meldet bereits erhöhte Aktivitäten. Österreich hat daher eine eigene Sicherheitsförderung für kleine und mittlere Unternehmen vorlegt. Um die kleinen und mittleren Unternehmen mache ich mir mehr Sorgen als um die Leitbetriebe. Die kritische Infrastruktur ist sehr gut geschützt.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt