Berlin. Offenbar fälscht Russland Beweise für einen angeblichen Einsatz atomar verseuchter Sprengsätze durch die Ukraine. Was steckt dahinter?

Ein mysteriöses Foto, ein Militär-Manöver, verbale Drohungen – erneut betreibt Russlands Staatsführung mit Blick auf den Angriffskrieg in der Ukraine nukleare Muskelspiele. Zugleich wächst die Unsicherheit im von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine. Droht eine neue atomare Eskalation in Russlands Krieg gegen die Ukraine? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was wirft Russland der Ukraine vor?

In dieser Woche wiederholte Präsident Wladimir Putin mehrfach seine Vorwürfe gegen die ukrainische Führung, sie plane den Einsatz von radioaktiven „schmutzigen Bomben“ in der Ukraine – mit dem angeblichen Ziel, die russischen Streitkräfte dann zu beschuldigen, einen Atomkrieg zu provozieren.

Wegen der angeblichen Nuklearpläne der Ukraine telefonierte der russische Verteidigungsminister mit den Amtskollegen Chinas und Indiens. Auf seiner englischsprachigen Seite stellte das russische Außenministerium Fotos ins Netz, die die „ukrainischen Kapazitäten“ zum Bau einer solchen Bombe beschreiben sollten.

Was ist dran an den Vorwürfen?

International erntete Russland massiven Widerspruch. Die USA, Großbritannien und Frankreich wiesen die Vorwürfe des Kremls an die Ukraine zurück. Die Ukraine gab an, sie arbeite nicht an einer solchen Waffe – auch nicht um Russland zu diskreditieren. Die indische Regierung ermahnte die Führung in Moskau, niemand dürfe im Krieg in der Ukraine eine nukleare Bombe einsetzen.

Droht immer wieder gegen den Westen und die Ukraine: Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu
Droht immer wieder gegen den Westen und die Ukraine: Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu © UPI/laif | UPI/laif

Nach Ansicht der Ukraine sind die Anschuldigungen der russischen Führung Teil der „Desinformationskampagne“ des Kreml als Mittel der hybriden Kriegsführung. Fachleute in der Ukraine und den USA spekulieren zudem, ob Russland mit dieser Rhetorik eher selbst einen Einsatz dieser „schmutzigen Bomben“ plane.

Andere Militärexperten halten die Äußerungen des Kreml laut einem Bericht der dpa für „bloßes Getöse“. Lesen Sie auch: Wie wahrscheinlich ist der Einsatz von Atomwaffen durch den Kreml?

Und die angeblichen Beweisfotos des russischen Außenministeriums? Die slowenische Regierung meldet sich zu Wort. Zumindest eines davon soll aus Beständen der slowenischen Agentur für radioaktive Abfälle und aus dem Jahr 2010 stammen. Auf dem Foto seien Rauchdetektoren zu sehen, hieß es. Es sei für Präsentationen verwendet worden, teilte die slowenische Regierung per Twitter mit. „Radioaktiver Abfall in Slowenien wird sicher verwahrt und ist unter Beobachtung. Er wird nicht für den Bau von „schmutzigen Bomben“ verwendet.

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Was ist eine „schmutzige Bombe“?

Es handelt sich nicht um eine Nuklearwaffe. Vielmehr ist die „schmutzige Bombe“ ein konventioneller Sprengsatz – allerdings angereichert mit verseuchenden Substanzen wie radioaktivem Müll oder giftigen Chemikalien. Diese „Bomben“ fallen nicht unter die Kategorie der Massenvernichtungswaffen, ihre Wirkung ist nicht vergleichbar mit den verheerenden Folgen einer Atomrakete.

Und doch können die Auswirkungen für Menschen in Nähe der Detonation fatal sein – und kontaminierter Staub oder Wasser können ganze Regionen gefährden. Bislang wurde noch nie eine solche Bombe gezündet.

Wie gefährlich sind Russlands aktuelle Militärmanöver?

Neben den Anschuldigungen über den Einsatz von „schmutzigen Bomben“ beunruhigen weitere Nachrichten. Mehrere Tage trainieren die russischen Atomstreitkräfte. Bereits das zweite Manöver dieses Jahr, wieder war es im Vorfeld angekündigt worden. Das ist der Grund, weshalb die Übung international zwar beachtet werden, jedoch nicht zu einem Alarm führen.

Ein russisches Atom-U-Boot in der Barentsee – Teil des aktuellen Manövers.
Ein russisches Atom-U-Boot in der Barentsee – Teil des aktuellen Manövers. © UPI/laif | UPI/laif

Nach russischen Militärangaben schoss das Atom-U-Boot „Tula“ in der arktischen Barentssee am Mittwoch eine Interkontinentalrakete des Typs Sinewa auf ein Ziel auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka ab. Eine weitere Interkontinentalrakete wurde in Plessezk in Nordrussland gestartet. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin soll sich vor Ort über das Manöver erkundigt haben.

Im Zuge seines Krieges in der Ukraine hatte Putin die Atomwaffen als Warnung an die Nato, sich nicht einzumischen, auch in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Mitte Oktober hatte die Nato ihr jährliches Manöver zur Verteidigung des europäischen Bündnisgebiets mit Atomwaffen begonnen, die Operation „Streadfast Noon“. Auch die Nato hebt hervor: reine Routine.

Wie besorgniserregend ist die Lage am Atomkraftwerk Saporischschja?

Immer wieder geht der Fokus in den Süden der Ukraine. Dort steht Europas größtes Atomkraftwerk nahe der Stadt Saporischschja. Aktuell ist die Anlage von russischen Truppen besetzt. Der ukrainische Betreiber Energoatom meldet nun, das russische Soldaten hätten beim Trockenlager für abgebrannte Kernbrennstoffe Bauarbeiten durchgeführt. Details nannte die Ukraine nicht. Weder ukrainische Techniker noch Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sollen vor Ort sein.

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Auf dem Gelände befinden sich 174 Behälter mit Kernbrennelementen. Auch das, so spekuliert die ukrainische Seite, könnte bei einem möglichen Einsatz einer „schmutzigen Bombe“ durch russische Truppen zum Einsatz kommen. Allerdings wurde das Gelände mehrfach bei Gefechten getroffen, mehrfach fiel die Anlage vom Stromnetz. Die Bauarbeiten könnten somit auch mit Reparaturen der Kriegsschäden zusammenhängen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.